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40. Jahrestag der ersten chemischen Insulinsynthese

Pressemitteilung: Diabetes-Portal DiabSite

Wer macht kurz vor Weihnachten noch Labortests?

Frühes Foto von Prof. Helmut Zahn Insulin, für den Typ-1-Diabetiker das lebensrettende Hormon, ist für den Chemiker das erste Proteinhormon, das durch chemische Synthese hergestellt werden konnte. Auf den Tag genau vor 40 Jahren gewann ein Forscherteam um Professor Helmut Zahn (Bild), seinerzeit Direktor des Deutschen Wollforschungsinstituts an der RWTH Aachen, den Wettlauf um die erste chemische Insulinsynthese.

Diabetiker müssen sich das Insulin bis heute spritzen oder über eine Pumpe zuführen. Das Eiweißmolekül würde, flüssig oder in Form von Tabletten eingenommen, im Magen zerstört werden. Das Insulinmolekül setzt sich aus zwei sogenannten Peptidketten zusammen. Die A- und B-Kette bestehen aus 21 bzw. 30 einzelnen Aminosäureresten, die in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet und durch zwei Schwefelbrücken verbunden sind.

Entdeckt wurde das Insulin bereits 1921 (siehe DiabSite-Beitrag 80 Jahre Insulin) von den Kanadiern Banting und Best. Zwischen 1945 und 1955 klärte Frederick Sanger die chemische Formel des Rinderinsulins auf. In den folgenden Jahren arbeiteten viele Naturstoffchemiker am Insulinmolekül und versuchten die natürlichen Peptide aus tierischen Insulinen zu isolieren, zu trennen und anschließend wieder zusammenzufügen.

Diese schwierige Rekombination der A- und B-Kette gelang 1960 den Kanadiern Dixon und Wardlaw. Sie sahen die Möglichkeit, synthetisch hergestellte Ketten nach ihrem Verfahren wieder zu vereinigen und somit erstmals ein synthetisches Protein herzustellen. Die Voraussetzungen für die Insulinsynthese waren geschaffen. Nun galt es, das Vorurteil zu widerlegen, Proteine seien synthetisch nicht darzustellen.

Der Wettlauf um die erste Insulinsynthese

Fünf Forschergruppen, drei chinesische, eine amerikanisch-kanadische und das Aachener Team um Prof. Helmut Zahn begannen systematisch mit der Synthese des ganzen Insulinmoleküls. "Es war kurz vor Weihnachten, genau am 19. Dezember 1963", erinnert sich Zahn, "als das in 223 Synthesestufen hergestellte Produkt 8-jähriger Teamarbeit in einer Flasche auf meinem Schreibtisch stand." Man hatte sich mit den letzten Synthesestufen sehr beeilt, denn im Oktober 1963 war aus Amerika die Nachricht eingetroffen, dass die Synthese und Wiedervereinigung der A- und B-Kette zu einem Präparat gelungen sei, das allerdings nur eine extrem schwache biologische Wirksamkeit gezeigt habe.

Nach einer Krisensitzung wurde die Organisation der Insulinforschungsgruppe gestrafft. Und dann, knapp eine Woche vor Weihnachten, war es soweit. Der Doktorand Helmut Bremer schrieb am 17.12.1963 auf Seite 117 seines Labortagebuchs: "100b mg synthetische geschützte A-Kette von Schutzgruppen befreit und für die Oxidation mit synthetischer B-Kette bei Meienhofer, Schnabel und Brinkhoff abgeliefert." Doch für die Anerkennung des wissenschaftlichen Erfolgs fehlte noch ein Beweis der biologischen Aktivität des gewonnenen Produkts. Welches medizinische oder biologische Institut würde so kurz vor Weihnachten noch mit komplizierten Tierversuchen beginnen, um das synthetische Insulin zu prüfen?

Helmut Zahn telefonierte mit einigen Labors und hatte schließlich in Düsseldorf Erfolg. Doch dann passierte ein Missgeschick: Die Flasche mit der radioaktiven Glukoselösung, die für diesen Test unbedingt benötigt wurde, fiel um. Die speziell präparierte Glukoselösung ist aufwendig in der Herstellung und besitzt zudem nur eine begrenzte Haltbarkeit. Es musste ein neues Labor gefunden werden, und Zahn wendete sich an Prof. Ernst Pfeiffer in Frankfurt. "Der war ähnlich 'verrückt' wie ich und sagte: 'Wahnsinn, ihr habt Insulin gemacht? Sofort her damit! Ich teste es umgehend.'"

Der Projektleiter Meienhofer fuhr mit dem Nachtzug nach Frankfurt und lieferte eigenhändig zwei Präparate ab. Am Abend des 20. Dezembers 1963 lag das erste Prüfungsergebnis vor. "Ich werde diesen Moment nie vergessen", so Zahn. "Meienhofer kam dann zu mir und fragte: 'Chef, was glauben Sie, wie viel Insulin drin ist?' Ich sagte: 'Na ja, was kann das sein - vielleicht 0,2 bis 0,3 Prozent?' Dann hat er gestrahlt und gegrinst: '0,6 bis 0,7 Prozent.' In anderen Tests betrug die Insulinausbeute sogar 1 Prozent. Das war deshalb unglaublich, weil man auch aus natürlichen Ketten von tierischen Insulinen nicht mehr bekommt."

Doch der Wettlauf um die erste Insulinsynthese war noch immer nicht gewonnen, denn ein wissenschaftlicher Beweis gilt erst, wenn er in einer anerkannten Fachzeitschrift veröffentlicht ist. "Jetzt war das große Problem: Publizieren! Publizieren!", fährt Zahn fort, und seine Stimme vermittelt bis heute die Aufregung ob der damals gebotenen Eile. "Ich telefonierte in ganz Deutschland herum. Wo gibt es noch eine Fachzeitschrift mit einer Dezemberausgabe, damit wir für die Publikation das Jahr 1963 haben?"

Die Zeitschrift für Naturforschung kam in Frage, aber die Redakteure waren skeptisch. Sie fragten sicherheitshalber den renommierten Diabetes- und Peptidforscher Prof. Weitzel, ob sie denn so etwas bringen könnten. Insulinsynthese, das klang für sie zu unwahrscheinlich. Aber Weitzel meinte nur: "Ich kenn' den Zahn, und weiß, dass die Aachener schon seit Jahren am Insulin forschen. Können wir annehmen!", erinnert sich der engagierte Wissenschaftler Helmut Zahn.

Somit fällt der Jahrestag der ersten Insulinsynthese auf den 23. Dezember, denn einen Tag vor Weihnachten ging die Kurzmitteilung: "Synthese der Insulinketten und ihre Kombination zu insulinaktiven Präparaten" von Johannes Meienhofer, Eugen Schnabel, Helmut Bremer, Otto Brinkhoff, Rudolf Zabel, Werner Sroka, Henning Klostermeyer, Dietrich Brandenburg, Toru Okuda und Helmut Zahn bei der Zeitschrift für Naturforschung ein und wurde im Band 18b von 1963 abgedruckt.

Welche Bedeutung hat die Synthese für die weitere Insulinforschung?

Prof. Helmut Zahn heute Die tierischen Insuline werden bald nicht mehr produziert, und auch die neuen Insuline beziehungsweise Insulinanaloga werden nicht synthetisch, sondern gentechnisch hergestellt. Übertriebene Erwartungen dämpfte Zahn (Bild) schon damals mit den Worten: "Die Diabetiker sollen nicht hoffen, dass jetzt in Aachen eine Insulinfabrik entsteht! Denn unsere und die Insulinsynthesen anderer Forschergruppen konnten wegen der über 200 aufwendigen Synthesestufen keine industrielle Anwendung finden. Die Bedeutung der ersten Insulinsynthese liegt vor allem darin, dass wir das Vorurteil widerlegt haben, man könne Eiweißmoleküle wie Insulin nicht im Labor herstellen. Außerdem haben wir allein in Aachen über 100 Insulinvarianten ins 'Spiel' gebracht. Damit hat die Peptidforschung den Weg für weitere Insulinentwicklungen bereitet." resümiert Prof. Helmut Zahn.

Stationen aus dem Leben von Professor Zahn

  • Helmut Gustav Zahn (geb. 1916)
  • Chemiestudium an der Technischen Hochschule (TH) Karlsruhe
  • 1940 Promotion an der TH Karlsruhe
  • 1948 habilitiert an der Universität Heidelberg
  • 1949-1957 am Chemischen Institut der Universität Heidelberg
  • 1952-1985 Direktor des Deutschen Wollforschungsinstituts an der RWTH Aachen
  • 1960 Lehrstuhl für Textilchemie und makromolekulare Chemie der RWTH Aachen
  • seit 1986 freier wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Wollforschungsinstituts

Bildunterschriften: Professor Helmut Zahn in jungen Jahren (Bild 1) und heute (Bild 2).
Bildquelle: privat

Autor: hu; zuletzt bearbeitet: 23.12.2003 nach oben

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