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Aktuelle gesundheitspolitische Entscheidungen zu Diabetes

Abstract zum Vortrag von Professor Dr. med. Wolfgang Kerner, Präsident der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) und Direktor der Klinik für Diabetes und Stoffwechselkrankheiten des Klinikums Karlsburg, im Rahmen der Pressekonferenz zur Veranstaltung: AND-Symposium für Praktische Diabetologie/Herbsttagung-DDG am 2. November 2006 in Berlin.

Welche Auswirkungen haben diese für Patienten?

Prof. Dr. med. Wolfgang Kerner In letzter Zeit haben Gesundheitspolitiker in Deutschland die besondere Passion entwickelt, die von ihnen zur Verbesserung und Rettung unseres Gesundheitssystems neu erdachten Strukturen und neuen Entscheidungen als Erstes auf den Diabetes mellitus anzuwenden. So geschehen mit den Disease Management Programmen (DMP) und, ganz aktuell, mit der Überprüfung der Wirksamkeit von Therapien, speziell der Anwendung von Insulinanaloga, durch das IQWiG.

Was ist inhaltlich zu diesen Neuerungen zu sagen? Beide sind grundsätzlich sinnvoll. Durch die DMPs könnte bei vernünftiger Anwendung die Qualität der Therapie des Diabetes und anderer chronischer Erkrankungen mit einiger Wahrscheinlichkeit verbessert werden. Und was die Überprüfung von Therapien durch das IQWiG betrifft, sagt einem der gesunde Menschenverstand und die Erfahrung des täglichen Lebens, dass man für eine Behandlung nur dann Geld ausgeben und das Risiko von Nebenwirkungen eingehen sollte, wenn der Nutzen dieser Behandlung wirklich nachgewiesen ist. Aber was geschieht in Wirklichkeit?

Die DMP wurden durch bürokratische Verordnungen zu einem Monstrum gemacht, dessen hauptsächlicher Sinn jetzt der Risikostrukturausgleich, das heißt die Verteilung der Gelder zwischen den Kassen ist. Von Verbesserung der Qualität der Behandlung redet niemand mehr; drei Jahre nach Einführung des DMP für Typ-2-Diabetes gibt es keine bundesweite Auswertung der Ergebnisse der Therapie; Auswertungen für einzelne Bundesländer gibt es nur in wenigen Einzelfällen.

Das IQWiG hat der Therapie des Typ-2-Diabetes mit kurzwirkenden Insulinanaloga den Nutzen für die Patienten abgesprochen. G-BA und BMG haben sich dieser Auffassung angeschlossen und seit einigen Wochen können diese Insulinanaloga nur noch in Ausnahmefällen verordnet werden. Grund für diese Entscheidung war die Tatsache, dass es so gut wie keine guten, das heißt aussagekräftigen Studien zu diesem Thema gibt. Was vorliegt sind die Zulassungsstudien, in denen jedoch bis heute die Überlegenheit eines neuen Präparats gegenüber vergleichbaren bestehenden Präparaten nicht nachgewiesen werden muss.

Wer hätte also diese Studien durchführen sollen? Der G-BA sagt, es sei die Aufgabe der Pharmaindustrie gewesen. Aber warum sollte sie teure Studien bezahlen, wenn es dazu keine gesetzliche Regelung gibt und sich die Präparate auch so gut verkaufen. Hätten die Studien aus öffentlichen Mittel bezahlt werden sollen? Die verantwortlichen Stellen weisen das weit von sich: dafür ist kein Geld da. Der "saubere" Weg wäre der gewesen, dass der Gesetzgeber der Pharmaindustrie eine Frist einräumt, in der sie mit guten Studien den Nutzen der Insulinanaloga beweist. Wenn dieser Beweis nach Ablauf der Frist nicht vorgelegt werden kann, könnte man tatsächlich ein Verbot für diese Medikamente aussprechen.

Mit den Analoga ist es ähnlich wie mit den DMP. Eine ursprünglich vom Inhalt her gute Idee wird dazu missbraucht, um akut Geld zu sparen bzw. um die Verteilung des Geldes zu beeinflussen. Die Absicht, die Behandlung der Patienten sicherer und besser zu machen, tritt darüber in den Hintergrund. Bei den Analoga kommt noch hinzu, dass Patienten verprellt werden. Muss man sich wundern, dass Patienten auf die Barrikaden gehen, wenn ihnen ein Medikament genommen wird, mit dem sie seit 10 Jahren gut behandelt wurden und bei ihnen der Eindruck entsteht, dass an ihnen und ihrer Krankheit gespart werden soll?

Wer Gutes einführen will, muss auch dafür sorgen, dass Gutes herauskommt. Dazu ist unsere Gesundheitspolitik in ihrer Hektik ganz offensichtlich nicht in der Lage.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Bildunterschrift: Prof. Dr. med. Wolfgang Kerner
Bildquelle: Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG)

zuletzt bearbeitet: 02.11.2006 nach oben

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