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Zuckerkonsum, Übergewicht, Typ-2-Diabetes

Abstract zum Vortrag von Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Hans-Georg Joost, Wissenschaftlicher Vorstand von diabetesDE - Deutsche Diabetes Hilfe, Stiftungsvorstand a.D. am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DifE) im Rahmen der Pressekonferenz der "Aktion 'gesunde' MwSt." am 13. November 2017 in Berlin.

Die Beweise für eine kausale Beziehung sind erdrückend!

Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Hans-Georg Joost Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit haben seit mehreren Jahren erkannt, dass die Zunahme der Inzidenz von Adipositas und Typ-2-Diabetes ein Problem mit ernsten gesundheitspolitischen und ökonomischen Konsequenzen darstellt. Diese Erkenntnis hat zu einer intensiven, internationalen Diskussion über geeignete Lösungswege geführt und wurde 2011 auf höchster politischer Ebene globales Thema beim ersten UN-Gipfel gegen nichtübertragbare Krankheiten.

Unstrittig ist, dass Ansätze zur individuellen Prävention (Verhaltensänderung in Bezug auf Ernährung und körperliche Aktivität) bislang nur ein kleineres Segment der Bevölkerung erreichten und ohne ökonomische Anreize für die Betroffenen wenig wirksam sind. Deshalb empfehlen Vereinte Nationen, WHO und FAO heute weltweit die Implementation von Maßnahmen, die an den äußeren Bedingungen ansetzen, welche Übergewicht und Adipositas begünstigen ("Verhältnisprävention"). Ein derzeit in Deutschland noch politisch umstrittener Vorschlag ist die höhere Besteuerung von adipogenen Lebensmitteln, z. B. in Form einer "Fett- und/oder Zuckersteuer".

Voraussetzung für die Akzeptanz derartig einschneidender Interventionen ist eine sichere wissenschaftliche Basis; d. h. es muss mit ausreichender Sicherheit belegt sein, dass die höher besteuerten Lebensmittel tatsächlich das Risiko für Adipositas und Typ-2-Diabetes erhöhen, und dass eine Reduktion ihres Konsums präventive Wirkung hat. Dieser Beitrag soll deshalb den Stand der Forschung zur Rolle des Zuckerverbrauchs in der Entstehung von Adipositas und Diabetes zusammenfassen. In der chemischen Nomenklatur bezeichnet "Zucker" die Stoffgruppe der Saccharide; ihre wichtigsten Vertreter sind Nahrungsinhaltsstoffe wie die Monosaccharide Glukose, Fruktose, Galaktose sowie die Disaccharide Saccharose und Laktose. In der Umgangssprache ist mit der Bezeichnung Zucker allein der Haushaltszucker (Saccharose) gemeint.

Saccharose macht ca. 90 Prozent der gesamten Zuckeraufnahme aus und ist deshalb Forschungsgegenstand nahezu aller wissenschaftlicher Studien zum Zuckerverzehr. Am besten bestimmbar ist der Verzehr zuckerhaltiger Getränke, so dass zahlreiche Studien diese Variable und ihre Beziehung zu Übergewicht und Diabetes untersucht haben.

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Zuckerkonsum und Körpergewicht

Der Zusammenhang zwischen dem Konsum zuckerhaltiger Getränke (Softdrinks) und Übergewicht/Adipositas ist in prospektiven Beobachtungsstudien (Kohorten) überzeugend belegt: Studienteilnehmer, die mehr als eine Portion (250 ml) eines zuckerhaltigen Getränks täglich verzehrten, hatten über 8 Jahre 1 kg/Jahr zugenommen, während die Gewichtszunahme nach Verzehr von weniger als einer Portion pro Woche nur 0,15 kg/Jahr betrug[1]. Dieser Befund ist in zahlreichen anderen Beobachtungsstudien reproduziert und durch Metaanalysen gesichert worden[2,3]. In mehreren Interventionsstudien konnte durch Restriktion des Zuckerkonsums das Körpergewicht reduziert werden: Der Ersatz des Zuckers in Getränken durch einen artifiziellen Süßstoff bei Kindern (4 bis 11 Jahre) über einen Zeitraum von 18 Monaten führte zu einer um 1 kg geringeren Gewichtszunahme als in der Kontrollgruppe, die mit dem Getränk 26 g Zucker/Tag aufnahmen[4].

In einer weiteren Studie an übergewichtigen oder adipösen Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren wurde die Zuckeraufnahme aus zuckerhaltigen Getränken von 33,5 g/Tag in der Kontrollgruppe auf 7,3 g/Tag reduziert; mit dieser Intervention wurde nach einem Jahr ein Gewichtsunterschied von 1,9 kg erreicht[5]. Die Metaanalyse von 5 älteren Interventionsstudien, in denen der gesamte Zuckerkonsum reduziert wurde, ergab eine durchschnittliche, signifikante Gewichtsreduktion von ca. 1 kg[3]. Damit wird die Kausalität der Beziehung zwischen dem Zuckerkonsum und Übergewicht/Adipositas durch Interventionsstudien überzeugend belegt.

Zuckerkonsum und Risiko für Typ-2-Diabetes

Der Zusammenhang zwischen dem Konsum zuckerhaltiger Getränke und Typ-2-Diabetes ist ebenfalls in prospektiven Beobachtungsstudien überzeugend belegt: Studienteilnehmer, die mehr als 250 ml eines zuckerhaltigen Getränks täglich verzehrten, hatten ein ca. 1,8-faches Risiko als Teilnehmer, in den nächsten 5 Jahren an Diabetes zu erkranken, die weniger als 250 ml/Woche verzehrten[1]. Dieses Ergebnis wurde mehrfach in anderen Studien reproduziert und durch Metaanalysen gesichert[6-9]. Die Assoziation wurde nach Korrektur für die Störgröße Body-Mass-Index geringer; der Effekt wird also mindestens zum Teil durch die Wirkung der zuckerhaltigen Getränke auf das Körpergewicht vermittelt.

Es existieren bislang keine Interventionsstudien zur Wirkung der zuckerhaltigen Getränke auf den Endpunkt Typ-2-Diabetes; derartige Studien wären überaus aufwendig. Zum Beleg der Kausalität kann jedoch die vielfach gesicherte Wirkung einer Gewichtserhöhung auf das Diabetesrisiko herangezogen werden: Da zuckerhaltige Getränke eine Gewichtserhöhung verursachen, muss erwartet werden, dass diese Gewichtszunahme das Diabetesrisiko entsprechend erhöht. Viele Experten sehen es deshalb aufgrund der Datenlage als gesichert an, dass zwischen Zuckeraufnahme, Übergewicht und Typ-2-Diabetes eine kausale Beziehung besteht[10,11].

Zuckerkonsum und kardiovaskuläres Risiko

Im National Health and Nutrition Survey der USA, einer großen prospektiven Beobachtungsstudie, wurde eine signifikante Assoziation des Zuckerkonsums mit der kardiovaskulären Sterblichkeit gefunden: Probanden, deren Zuckerkonsum mehr als 21 Prozent (ca. 105 g) der täglichen Kalorienaufnahme betrug, hatten ein 2,4fach höheres Mortalitätsrisiko als Probanden, die weniger als 10 Prozent (ca. 50 g) pro Tag verzehrten[12]. Diese Assoziation war nach Korrektur für mögliche Störgrößen wie Körpergewicht und Rauchen nahezu unverändert (2,0fache Risikoerhöhung). Die Kausalität dieser Assoziation wird durch eine Metaanalyse von 39 Interventionsstudien wahrscheinlich gemacht[13], die signifikante Anstiege der Risikofaktoren Blutdruck, Plasma-Cholesterin und Plasma-Triglyceride bei erhöhtem Zuckerkonsum zeigten.

Ist Fructose für die negativen Wirkungen von Saccharose verantwortlich?

Die Effekte des hohen Zuckerkonsums werden zu einem großen Teil, wenn nicht vollständig, durch die erhöhte Kalorienaufnahme vermittelt, die auf unzureichende Sättigung insbesondere durch zuckerhaltige Getränke zurückzuführen ist[14]. Es wird zudem diskutiert, dass der Fructose-Anteil einen von der Gesamt-Kalorienaufnahme unabhängigen Effekt auf das kardiometabolische Risiko ausübt[15-17]: Mehrere klinische Studien zeigen, dass Fruktose in Dosierungen, die durch tägliche Zuckeraufnahme erreicht werden können, Plasma-Triglyceride/-Harnsäure und Leberfett erhöht und damit zur Ausprägung des metabolischen Syndroms beiträgt; dies konnte als gewichtsunabhängiger Effekt auch bei adipösen Kindern nachgewiesen werden[18].

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Zusammenfassung und Ausblick

Nach der gegenwärtigen Datenlage kann die kausale Beziehung zwischen Saccharose-Konsum, Übergewicht/Adipositas und Diabetesrisiko als gesichert gelten. Dieser Effekt kommt durch eine erhöhte Kalorienzufuhr zustande, insbesondere wenn Zucker in Getränken konsumiert wird. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass der Fructose-Anteil der Saccharose einen vom Körpergewicht unabhängigen Stoffwechseleffekt ausübt. Die Daten zur Dosisabhängigkeit des Effekts rechtfertigen die Empfehlung, die Zuckeraufnahme auf 10 Prozent der täglichen Kalorienaufnahme zu begrenzen (ca. 50 g täglich).

Die Einhaltung dieser Empfehlung erfordert eine Halbierung des derzeitigen durchschnittlichen Zuckerverzehrs in Deutschland, was wegen der ubiquitären Anwesenheit von Saccharose in verarbeiteten Lebensmitteln schwer erreichbar ist. Forderungen nach wirksamen Maßnahmen, den Zuckerkonsum durch negative Anreize zu senken, sind aus wissenschaftlicher Sicht deshalb gerechtfertigt: z. B. eine höhere Besteuerung[19] sowie eine nationale Reduktionsstrategie zur gesundheitsförderlichen Optimierung von Nährwertprofilen in verarbeiteten Lebensmitteln[20]. Davon unberührt bleibt, dass Zucker in begrenzter Menge zur Lebensqualität beiträgt, und dass das Diabetes- und Adipositasrisiko auch durch andere Variablen erhöht wird, wie den hohen Fett- und Salzgehalt sowie den geringen Ballaststoffgehalt von verarbeiteten Lebensmitteln und Fertiggerichten.

Wichtige Aussagen und Fakten

Quelle: Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2017 - Die Bestandsaufnahme

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Quellen

  1. Schulze MB, Manson JE, Ludwig DS, Colditz GA, Stampfer MJ, Willett WC, Hu FB. Sugar-sweetened beverages, weight gain, and incidence of type 2 diabetes in young and middle-aged women. JAMA 2004; 292: 927-34.

  2. Malik VS, Schulze MB, Hu FB. Intake of sugar-sweetened beverages and weight gain: a systematic review. Am J Clin Nutr 2006; 84: 274 88.

  3. Te Morenga L, Mallard S, Mann J. Dietary sugars and body weight: systematic review and meta-analyses of randomised controlled trials and cohort studies. BMJ 2012; 346: e7492.

  4. de Ruyter JC, Olthof MR, Seidell JC, Katan MB. A trial of sugar-free or sugar-sweetened beverages and body weight in children. N Engl J Med 2012; 367: 1397-406.

  5. Ebbeling CB, Feldman HA, Chomitz VR, Antonelli TA, Gortmaker SL, Osganian SK, Ludwig DS. A randomized trial of sugar-sweetened beverages and adolescent body weight. N Engl J Med 2012; 367: 1407-16.

  6. Palmer JR, Boggs DA, Krishnan S, Hu FB, Singer M, Rosenberg L. Sugar-sweetened beverages and incidence of type 2 diabetes mellitus in African American women. Arch Intern Med 2008; 168: 1487-92.

  7. de Koning L, Malik VS, Rimm EB, Willett WC, Hu FB. Sugar-sweetened and artificially sweetened beverage consumption and risk of type 2 diabetes in men. Am J Clin Nutr 2011; 93: 1321-7.

  8. Greenwood DC, Threapleton DE, Evans CE, Cleghorn CL, Nykjaer C, Woodhead C, Burley VJ. Association between sugar-sweetened and artificially sweetened soft drinks and type 2 diabetes: systematic review and dose-response meta-analysis of prospective studies. Br J Nutr 2014; 112: 725-34.

  9. Imamura F, O'Connor L, Ye Z, Mursu J, Hayashino Y, Bhupathiraju SN, Forouhi NG. Consumption of sugar sweetened beverages, artificially sweetened beverages, and fruit juice and incidence of type 2 diabetes: systematic review, meta-analysis, and estimation of population attributable fraction. BMJ  2015; 351: h3576.

  10. Hu FB. Resolved: there is sufficient scientific evidence that decreasing sugar-sweetened beverage consumption will reduce the prevalence of obesity and obesity-related diseases. Obes Rev 2013; 14: 606-19.

  11. Bray GA, Popkin BM. Dietary sugar and body weight: have we reached a crisis in the epidemic of obesity and diabetes?: health be damned! Pour on the sugar. Diabetes Care 2014; 37: 950-6.

  12. Yang Q, Zhang Z, Gregg EW, Flanders WD, Merritt R, Hu FB. Added sugar intake and cardiovascular diseases mortality among US adults. JAMA Intern Med 2014; 174: 516-24.

  13. Te Morenga LA, Howatson AJ, Jones RM, Mann J. Dietary sugars and cardiometabolic risk: systematic review and meta-analyses of randomized controlled trials of the effects on blood pressure and lipids. Am J Clin Nutr 2014; 100: 65-79.

  14. Maersk M, Belza A, Holst JJ, Fenger-Grøn M, Pedersen SB, Astrup A, Richelsen B. Satiety scores and satiety hormone response after sucrose-sweetened soft drink compared with isocaloric semi-skimmed milk and with non-caloric soft drink: a controlled trial. Eur J Clin Nutr 2012; 66: 523-9.

  15. Johnson RJ, Perez-Pozo SE, Sautin YY, Manitius J, Sanchez-Lozada LG, Feig DI, Shafiu M, Segal M, Glassock  RJ, Shimada M, Roncal C, Nakagawa T. Hypothesis: could excessive fructose intake and uric acid cause type 2 diabetes? Endocr Rev 2009; 30: 96-116.

  16. Bray GA. Energy and fructose from beverages sweetened with sugar or high-fructose corn syrup pose a health risk for some people. Adv Nutr 2013; 4: 220-5.

  17. DiNicolantonio JJ, O'Keefe JH, Lucan SC. Added fructose: a principal driver of type 2 diabetes mellitus and its consequences. Mayo Clin Proc 2015;90:372-81.

  18. Lustig R, Mulligan, K, Noworolski SM, Tai VW, Wen MJ, Erkin-Cakmak A, Gugliucci A, Schwarz J-M. Isocaloric fructose restriction and metabolic improvement in children with obesity and metabolic syndrome. Obesity 2016; 24: 453-60.

  19. Effertz T, Garlichs D, Gerlach S, Müller MJ, Pötschke-Langer M, Prümel-Philippsen U, Schaller K, für die Deutsche Allianz gegen Nichtübertragbare Krankheiten (DANK). Wirkungsvolle Prävention nichtübertragbarer Krankheiten. Prävention und Gesundheitsförderung February 2015; 10: 95.

  20. Gerlach S, Joost H-G. Nationale Reduktionsstrategie 2016. Positionspapier von diabetesDE - Deutsche Diabetes-Hilfe. Ernährungs-Umschau 2016; 63: 8-91.

Bildunterschrift: Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Hans-Georg Joost
Bildquelle: Diabetes-Portal DiabSite

zuletzt bearbeitet: 05.01.2018 nach oben

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