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Typ-1-Diabetes im Kindes- und Jugendalter

Expertenstatement von Prof. Dr. med. Andreas Neu, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Kommissarischer Ärztlicher Direktor an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen, im Rahmen der Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 10. März 2022, online.

Früh erkennen - rasch handeln

Professor Dr. med. Andreas Neu. Jedes Jahr erkranken in Deutschland mehr als 3.000 Kinder und Jugendliche neu an einem Typ-1-Diabetes. Für die Betroffenen bedeutet dies einen erheblichen Einschnitt in ihren Alltag und ihre Lebensplanung. Für die Familie geht damit eine deutlich vermehrte Belastung einher, sowohl im psychosozialen Bereich als auch finanziell: 15 Prozent der Mütter geben ihre Berufstätigkeit auf, zwölf Prozent reduzieren diese und 46 Prozent der betroffenen Familien berichten über spürbare finanzielle Einbußen.[1]

Die Diabetesmanifestation im Kindes- und Jugendalter, also der Erkrankungsbeginn, kann milde verlaufen, kann aber auch mit einer erheblichen Stoffwechselentgleisung (Ketoazidose) einhergehen und potenziell lebensgefährlich sein. Rund 20 bis 30 Prozent aller Fälle zeigen diesen schweren Verlauf. Häufig sind es zu spät erkannte Symptome oder eine verzögerte Vorstellung bei der Ärztin beziehungsweise beim Arzt, die dazu führen.

Gerade während der ersten Corona-Wellen konnten wir eine deutliche Zunahme dieser schweren Verläufe verzeichnen und haben rund doppelt so viele Ketoazidosen bei Diabetesmanifestation beobachtet als in den Jahren zuvor.[2] Dies lässt sich zurückführen auf eine ausgedünnte medizinische Versorgung in dieser Zeit (Sprechstunden wurden abgesagt, Vorsorgen verschoben) und auf die Tatsache, dass während der ersten Pandemie-Wellen der Fokus auf anderen Symptomen lag.

Die Symptome des Diabetes bei Manifestation lassen sich leicht erkennen: vermehrtes Trinken (Polydipsie), vermehrtes Wasserlassen (Polyurie), Gewichtsabnahme und Leistungsknick sind die klassischen Zeichen. Zeigen sich diese Symptome, muss eine rasche Diagnostik in die Wege geleitet werden. Die Diagnosestellung selbst ist simpel: Anhand eines einzigen Blutstropfens lässt sich bei entsprechender Symptomatik die Diagnose stellen, dies dauert weniger als eine Minute. Ist die Diagnose gestellt, muss unverzüglich eine Insulinbehandlung in einer dafür spezialisierten Einrichtung in die Wege geleitet werden. Unsere Fachgesellschaft prüft und zertifiziert solche Einrichtungen.

Wichtig ist das Erkennen der Symptome für Eltern, Angehörige, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer - ganz einfach für alle, die mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt sind. Je früher eine Diagnose gestellt wird, um so günstiger der initiale Verlauf und vermutlich auch die Langzeitprognose.[3]

Um die Früherkennung zu forcieren, hat die Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie, eine Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Diabetes Gesellschaft, im Schulterschluss mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte im vergangenen Jahr eine Kampagne ins Rollen gebracht mit dem Ziel, die Zahl der Ketoazidosen deutlich zu reduzieren. Modellversuche im Stadtgebiet von Stuttgart konnten zeigen, dass eine solche Reduktion machbar und in signifikantem Umfang möglich ist. Dort wurde die Ketoazidoserate von 28 auf 16 Prozent gesenkt! Dafür bedarf es allerdings der breiten und anhaltenden Aufklärung über mehrere Jahre.

Die Aufklärungskampagne bezieht die niedergelassenen Kinderärztinnen und -ärzte ein, nutzt Vorsorgetermine, um auf den Diabetes hinzuweisen, richtet sich aber auch an Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen sowie an die allgemeine Öffentlichkeit. Jeder kann zur Verbreitung dieser Information beitragen.

Deshalb mein Appell: Früherkennung von Typ-1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen ist einfach. Eine rasche Diagnosestellung hilft den Betroffenen, schützt vor gravierenden gesundheitlichen Folgen und ist deshalb eine Aufgabe, die uns alle angeht.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Quellen

  1. Dehn-Hindenberg A: Diabetes Care 2021; 44(12):2656-2663

  2. Kamrath C: Journal of American Medical Association (JAMA) 2020; 324(8): 801-804

  3. Aye T: Diabetes Care 2019; 42(3):443-449

Bildunterschrift: Professor Dr. med. Andreas Neu
Bildquelle: www.DiabSite.de

zuletzt bearbeitet: 30.04.2022 nach oben

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