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Diabetes und Niere

Das Diabetes-Portal DiabSite im Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Eberhard Ritz

Prof. Dr. Dr. Eberhard Ritz Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Eberhard Ritz, ausgezeichnet mit dem Wissenschaftspreis der Deutschen Hochdruckliga, der Medaille "Distinguished Investigator" der National Kidney Foundation (USA) und der Langerhans Medaille der Deutschen Diabetes-Gesellschaft ist Internist und war viele Jahre ärztlicher Leiter des Rehabilitationszentrums für chronisch Nierenkranke an der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg. Ritz engagiert sich in diversen medizinischen Fachgesellschaften, darunter als Vorstandsmitglied in der European Renal Association, die sich mit Fortschritten in der klinischen Nephrologie, Transplantation und Dialyse befasst. Er ist Gutachter, Berater und Mitherausgeber für mehrere Fachzeitschriften und Ehrenmitglied der Französischen, Italienischen, Polnischen und Tschechischen Gesellschaft für Nephrologie.
DiabSite nutzte die Chance zu einem Interview mit Professor Ritz am Rande des Symposiums für Praktische Diabetologie in Wiesbaden.

DiabSite:
Herr Professor Ritz, welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Diabetes mellitus und der Niere?
Ritz:
Der Diabetes und die damit verbundene Blutzuckererhöhung schädigen viele Organe. Darunter ist die Niere eines der wichtigsten Zielorgane. Die Nierenschädigung nimmt deshalb eine Schlüsselposition ein, weil diabetische Patienten mit Nierenbeteiligung nicht nur das Risiko haben, später ein Nierenversagen zu entwickeln, sondern auch Herz-Kreislaufleiden zu erliegen, weil parallel mit der Niere auch Herz und Nervensystem geschädigt werden. Bei einem Diabetiker mit Nierenbeteiligung ist das Risiko größer, an einer Herzkrankheit als am Nierenversagen zu versterben. Wir haben heute effektive Methoden, die Nierenbeteiligung anzugehen, und damit gehen wir gleichzeitig auch erfolgreich die erhöhte Sterblichkeit des Diabetikers an. Deshalb ist die Niere eines der wichtigsten - vielleicht sogar das wichtigste - Zielorgan.
DiabSite:
Wie zerstören die bei Diabetikern oft erhöhten Blutzuckerwerte die Nieren?
Ritz:
Das ist sehr einfach erklärt: Vor circa 150 Jahren, als noch keine Blutzuckerbestimmung möglich war, hatten Ärzte den Diabetes aus dem Schuhleder diagnostiziert. Wenn ältere Herren mit Diabetes zerfressene Schuhspitzen hatten, war beim Nachträufeln zuckerhaltiger Urin auf das Leder gekommen, und das Leder durch sogenannte Sauerstoffradikale zerstört worden. Und dasselbe passiert in der Niere. Zucker ist Gift für die optimale Zellfunktion. Dieses Gift - genauer gesagt die Sauerstoffradikale - führen an der Niere zur Schädigung, die einen Gewebsuntergang zur Folge haben.
DiabSite:
Wie können Diabetiker diese Nierenschädigungen vermeiden?
Ritz:
Es ist ganz klar, ohne Hyperglykämie, ohne Blutzuckererhöhung, gibt es keine diabetische Nierenschädigung, keine diabetische Nephropathie. Um diese Schädigung zu vermeiden ist das mit weitem Abstand Wichtigste die Blutzuckereinstellung auf Werte, die so normal wie möglich sind. Es gibt keinen Schwellenwert. Je niedriger die Blutzuckerwerte, desto besser - natürlich darf der Patient nicht durch Hypoglykämien, das heißt Unterzuckerungen, gefährdet werden. Wenn die Nierenschädigung da ist, ist das Wichtigste, den Blutdruck abzusenken, und zwar auf Werte, die wir vor zehn Jahren noch für skandalös gehalten hätten. Also auf Werte von 120 mm Quecksilber systolisch (oberer Wert, Anm. d. Red.). Wie wir heute wissen, soll der Diabetiker, das betrifft vor allem Typ 2 Diabetiker, von vornherein niedrige Blutdruckwerte haben, weil die Blutzuckererhöhung die Niere gegenüber hohen Blutdruckwerten sensibilisiert, also empfindlicher macht für die blutdruckbedingte Schädigung.
DiabSite:
Herr Professor Ritz, wie viele Diabetiker benötigen trotz der enormen Fortschritte in der Diabetologie und der Nephrologie eine Nierenersatztherapie an der Dialyse (künstliche Niere)?
Ritz:
Es ist bemerkenswert, dass aus Dänemark berichtet wird, dass in den letzten Dekaden - Jahrzehnt um Jahrzehnt - die Zahl der Typ-1-Diabetiker, die eine Nierenbeteiligung entwickelt haben, zurückging. Im Gegensatz dazu nimmt die Nierenbeteiligung bei Typ-2-Diabetes explosionsartig zu. In Heidelberg sind 50 Prozent aller neu an die Nierenersatztherapie, sprich Hämodialyse, gelangenden Patienten Diabetiker, die meisten davon Typ-2-Diabetiker. Das sind jährlich etwa 100 pro einer Million Einwohner. Auf die Bundesrepublik hochgerechnet entspricht dies etwa 8.000 Patienten pro Jahr.
DiabSite:
Was bedeutet es, wenn ein Diabetiker an die Dialyse oder wie Sie korrekter sagen Hämodialyse, muss? Ist das wirklich so schlimm?
Ritz:
Ja, denn die Nierenbeteiligung ist für den Diabetiker per se schon eine Katastrophe. Die maximale Katastrophe ist es, dialysepflichtig zu werden. Gott sei Dank haben wir Verfahren, das Risiko zu vermindern - leider nicht total zu verhindern. Das Problem des Typ-2-Diabetikers, des älteren Menschen mit Diabetes, ist die insgesamt schlechte Lebenserwartung. Sie ist vergleichbar mit der Lebenserwartung von Menschen mit einem Karzinom (Krebsgeschwür, Anm. d. Red.) im Magen-Darm-Trakt, das Metastasen hervorgebracht hat. Die Hauptprobleme für dialysepflichtige Diabetiker sind die Blutdruckerhöhung und -kontrolle, sind die peripheren Gefäße und die hohe Amputationsrate. Etwa 16 Prozent der Diabetiker, die an die Dialyse gelangen, haben schon Amputationen. Insgesamt ist die Lebensqualität also deutlich schlechter als bei Nicht-Diabetikern. Ich sage das nicht, um Patienten zu verängstigen, sondern um zu begründen, warum ich die Verhinderung der Dialyse beim Typ-2-Diabetiker für so wichtig halte.
DiabSite:
Sie betonen, dass vor allem Typ 2 Diabetiker, also meist ältere Menschen, an die Dialyse kommen. Für welche Diabetiker ist eine Transplantation geeignet?
Ritz:
Wenn ich Typ-1-Diabetiker wäre, gäbe es für mich nur eine Alternative: Die kombinierte Nieren- und Pankreastransplantation (Pankreas = Bauchspeicheldrüse, Anm. d. Red.). Diese Doppeltransplantation bereitete in der Vergangenheit große technische Schwierigkeiten. Heute sind die Ergebnisse absolut überzeugend. Beim Typ-2-Diabetiker ist die Transplantation der Bauchspeicheldrüse momentan noch in der Erprobungsphase. Erstaunlicherweise sind die Ergebnisse der Nierentransplantation recht gut, sofern Gefäßerkrankungen, speziell der Herzkranzgefäße, ausgeschlossen sind. Der Typ-2-Diabetiker, der diese Voraussetzungen erfüllt, kann und sollte transplantiert werden. Das Problem in Deutschland ist die mangelnde Verfügbarkeit von Spendernieren. Im Moment werden in einer großen Studie, die wir gerade durchführen, von den dialysierten Typ-2-Diabetikern nur vier Prozent transplantiert.
DiabSite:
Oft werden transplantierte Organe vom Körper abgestoßen. Um das zu verhindern sind sogenannte Immunsuppressiva, Medikamente mit starken Nebenwirkungen, erforderlich. Verursachen diese, besonders bei Diabetikern, heute noch große Probleme?
Ritz:
Das ist nicht nur bei Diabetikern sondern generell ein Problem. Aber auch hier hat sich die Szenerie erheblich gewandelt. Früher musste sehr viel von dem Steroidhormon (Nebennierenrindenhormone, Anm. d. Red.) gegeben werden, welches den Diabetes verschlimmert, die Abwehr von Bakterieninfekten verhindert und zahlreiche andere Nebenwirkungen hat. Wir haben heute viel effektivere Immunsuppressiva. Aus diesem Grund sind die Ergebnisse im Vergleich zu früher spektakulär besser geworden. Vor allem haben wir heute viel bessere Medikamente zur Immunsuppression, die auch bei Diabetikern angewendet werden können.
Wir haben heute diverse Möglichkeiten eine diabetische Nephropathie zu behandeln. Dennoch bleibt der Slogan des Weltdiabetestages 2003 "Der Diabetes kann Ihre Nieren kosten" eine Mahnung. Diabetiker sollten alles versuchen, eine Nierenschädigung zu vermeiden.
DiabSite:
Herr Professor Ritz, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Autor: hu; zuletzt bearbeitet: 10.11.2003 nach oben

Bildunterschrift: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Eberhard Ritz
Bildquelle: privat

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