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Das Diabetische Fußsyndrom

Ernüchternde Zahlen und Fakten rund um den Fuß des Diabetikers

Der Podologe Andreas Flinner für das Diabetes-Portal DiabSite

A. Flinner
Andreas Flinner

Der medizinische Fußpfleger und Podologe, Andreas Flinner, eröffnete 1993 nach einem 2-jährigen Vollzeitstudium an der Bundesberufsfachschule für Podologie in Braunschweig seine Fachpraxis für Podologie in Bad Hersfeld. Sein Schwerpunkt ist die Behandlung von Diabetespatienten. Zahlreiche Fort- und Weiterbildungen im In- und Ausland ermöglichen ihm eine Behandlung nach dem neuesten Stand der Wissenschaft. Außerdem ist der Privatdozent Flinner Vorsitzender des Verbandes der Podologen Deutschlands.

Der Fuß des diabetischen Patienten genießt einen hohen Bekanntheitsgrad, bekommt aber an vielen Orten noch zu wenig Beachtung. 12 Jahre nach der St. Vincent Deklaration sind die Amputationszahlen in Deutschland ernüchternd. Das Ziel, die Amputationsrate um 50 % zu senken, ist bis heute nicht erreicht worden, und wir sind noch weit davon entfernt.

Die Vernetzung von verschiedenen Therapeuten ist in der Theorie möglich. Doch wie sieht die Realität aus? In vielen Fällen kommt der diabetische Patient über die Empfehlung eines Mediziners zu uns in die Praxis, mit folgender Aussage: "Dr. XY schickt mich zu Ihnen, er sagt, Sie werden das schon machen".

Ist das die hoch gepriesene Partnerschaft, die wir wollen? Ich erwarte ein bisschen mehr. Fachgespräche mit Bericht und Befund wären doch eine deutliche Erleichterung, um am Fuß des Diabetikers arbeiten zu können, um unsere Therapie auf dem vorliegenden Befund aufbauen zu können. Nur eine solche Zusammenarbeit ist auf Dauer sinnvoll, um den Patienten nicht zum X-ten Mal denselben diagnostischen Verfahren zu unterziehen. Kommunikation unter Therapeuten ist eine wichtige Säule, um schnell und präzise handeln zu können.

Die nachfolgend aufgeführte, nicht repräsentative, Studie an 33 Patienten mit Diabetes mellitus soll den oben geschilderten Zustand verdeutlichen und dokumentieren, wie weit wir doch von dem Wunschdenken entfernt sind, ein gleichberechtigter Partner bei der medizinischen Behandlung des Diabetischen Fußsyndroms (DFS) sind, bedenkt man den Umstand, dass unser Beruf bis zum heutigen Tage noch nicht staatlich geregelt ist und wir die verschiedensten Qualifikationen am Diabetischen Fuß aufweisen können.

Wir befragten 33 Diabetiker. Unter ihnen waren

- 1 Patient Typ 1 Diabetiker
- 17 Patienten Typ 2 Diabetiker (Insulinpflichtig)
- 15 Patienten Typ 2 Diabetiker (nicht Insulinpflichtig)

Mit unserer Befragung wollten wir die Hintergründe der noch nicht eingetretenen Reduktion der Amputationsrate nach der St. Vincents Deklaration öffentlich machen, um zu zeigen, dass beim Thema DFS Aufklärung und Prävention deutlich verbessert werden müssen.

Wir fragten die Patienten nach:

- 1. Diabetesdauer
- 2. Diabetestyp
- 3. Erste Fußuntersuchung nach Befund des Diabetes (wann? , Wo? , Durch wen?)
- 4. Fußläsionen (wann? , Wo? , durch wen?)
- 5. Behandlung der Fußläsion (wann? , Wo? , durch wen?)
- 6. Aufklärung über DFS (wann? , Wo? , durch wen?)
- 7. Kontrolle (wann? , Wo? , durch wen?)

Die Auswertung der Fragen erfolgte unter diesen Gesichtspunkten:

- 1. Diabetestyp
- 2. Diabetesdauer
- 3. nach welchem Zeitraum wurde eine Fußuntersuchung durchgeführt
- 4. Fußläsion am Diabetischen Fuß, ja oder nein?

Unter 33 Diabetikern befanden sich:

a) 6 Diabetiker, die seit bis zu 5 Jahren Diabetes haben
b) 7 Diabetiker, die seit bis zu 10 Jahren Diabetes haben
c) 11 Diabetiker, die seit bis zu 20 Jahren Diabetes haben
d) 5 Diabetiker, die seit bis zu 30 Jahren Diabetes haben
e) 4 Diabetiker, die seit bis zu 40 Jahren Diabetes haben

Wann wurde zum 1. Mal eine Fußuntersuchung durch einen Arzt durchgeführt?

Zu a:
- 1 Diabetiker im 1. Jahr
- 1 Diabetiker im 2. Jahr
- 4 Diabetiker noch nie

Zu b:
- 1 Diabetiker im 4. Jahr
- 1 Diabetiker im 7. Jahr
- 1 Diabetiker im 8. Jahr
- 4 Diabetiker noch nie

Zu c:
- 1 Diabetiker nach 8 Jahren
- 2 Diabetiker nach 11 Jahren
- 1 Diabetiker nach 13 Jahren
- 1 Diabetiker nach 19 Jahren
- 1 Diabetiker nach 20 Jahren
- 5 Diabetiker noch nie

Zu d:
- 1 Diabetiker nach 18 Jahren
- 1 Diabetiker nach 20 Jahren
- 1 Diabetiker nach 24 Jahren
- 1 Diabetiker nach 25 Jahren
- 1 Diabetiker nach 28 Jahren

Zu e:
- 1 Diabetiker noch nie
- 1 Diabetiker nach 12 Jahren
- 1 Diabetiker nach 30 Jahren
- 1 Diabetiker nach 32 Jahren

Wir stellen fest, dass in den meisten Fällen der Zeitraum zwischen der Diagnose "Diabetes mellitus" und der ersten Fußuntersuchung zu groß ist. Es ist von entscheidender Bedeutsamkeit, den Fuß des Diabetikers rechtzeitig zu untersuchen, um so kleinste Veränderungen schnellstmöglich zu erkennen und geeignete Therapiemaßnahmen einzuleiten.

Auf die Frage, warum man sich die Füße des Diabetikers in der Arztpraxis nicht anschaue, wurde in über 90 % der Fälle der Budget-Druck, sowie der zeitliche Druck in der Praxis genannt.

Wir sollten nicht vergessen, dass es sich hier um Menschen handelt, die durch ihre Grunderkrankung schon genügend soziale Isolation erfahren und nicht noch andere medizinische Indikationen benötigen. Sollte man selbst in der Praxis keine Zeit finden, den Fuß zu untersuchen, wäre es doch wichtig, den Patienten mit einem Befund an einen medizinischen Assistenzberuf zu verweisen, um so die Fußuntersuchung zu delegieren und sicher zu stellen, dass diese unerlässliche Vorsorgeuntersuchung gewährleistet ist.

Bei der weiteren Auswertung unserer Studie kristallisierte sich deutlich heraus, dass die vorbeugenden Therapiemaßnahmen zeitlich gesehen zu spät einsetzen. Von unseren 33 Befragten erwähnten elf Patienten eine Fußläsion im Lauf ihrer Erkrankung. Die Schädigungen wurden relativ schnell erkannt und behandelt. In 95 % der Fälle wurde die Läsion in den ersten zwei Wochen nach Feststellung fachgerecht behandelt, jedoch stellten wir uns die Frage, wie viele der elf Patienten vorher regelmäßige Untersuchungen am Fuß nachweisen konnten. Acht von elf Patienten wurden niemals am Fuß untersucht. Das sind 82 %, eine Zahl, die für sich spricht.

Auf die Frage, ob sie die Risiken am Diabetischen Fuß kennen, antworteten 86 % der Befragten mit "nein". 14 % gaben an, sie hätten von solchen Risiken schon einmal gehört.

Die 33 Patienten befinden sich inzwischen in regelmäßiger Betreuung in unserer Praxis und sind über die Risiken des Diabetischen Fußes aufgeklärt worden. Bei der Patienteninformation legten wir besonderen Wert auf Schuhwerk, korrektes Schneiden der Nägel, korrektes Abtragen der Hyperkeratosen und richtigen Einsatz von Pflegemitteln.

Größtmögliches Augenmerk legen wir darauf, dass die Patienten sich mit ihren Problemen sofort an uns wenden, um so weiteren Fußproblemen vorzubeugen. Außerdem empfehlen wir unseren Patienten, in eine Selbsthilfegruppe einzutreten, um auch diese wichtige Seite der Therapiemaßnahme abzudecken.

Besonders wichtig ist es auch, den Diabetikern zu vermitteln, dass sie sich nicht nur auf Therapeuten verlassen dürfen, sondern selbst Verantwortung übernehmen müssen. Von den 33 Patienten, die in unser "Diabetisches Fußvorversorgungskonzept" eingebunden sind, weist seit über einem Jahr keiner mehr Läsionen auf.

Zusammenfassend stellen wir fest, dass Diabetiker schnell nach Diagnosestellung über Risiken am Fuß aufgeklärt und Untersuchungen am Fuß vorgenommen werden müssen. So sollte es möglich sein, der Vorbeugung des Diabetischen Fußsyndroms einen höheren Stellenwert einzuräumen und damit unserem Ziel näher zu kommen: Einer deutlichen Senkung der Amputationsrate. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung hat das Bundessozialgericht bereits gemacht: Mit der Entscheidung, die Diabetische Fußversorgung wieder über die Krankenkassen abrechnungsfähig zu machen.

Andreas Flinner, Podologe

Quellen

Text- und Bildquelle: Andreas Flinner

zuletzt bearbeitet: 12.08.2001 nach oben

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Wir danken Herrn Flinner für seinen interessanten Beitrag und hoffen, dass Diabetikerinnen und Diabetiker mit Problemen an den Füßen dadurch kritischer werden und schließlich eine bessere Behandlung erfahren!

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