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IDAA bietet "Boxenstopp" für Menschen mit Diabetes

Beim 30. real,-Berlin-Marathon laufen Diabetiker vielen Gesunden davon

Diabetes-Schild am Versorgungspunkt für Läufer mit Diabetes Nein, Sie müssen kein neues Straßenschild lernen. Beim Jubiläums-Marathon in Berlin fahren Menschen mit Diabetes auch nicht mit dem Fahrrad. Sie laufen die 42,195 Kilometer - und dabei so manchem Gesunden davon! "Das Halteverbotsschild gilt hier schon gar nicht für Diabetiker", beteuert Ulrike Thurm (IDAA). Im Gegenteil: Das Diabetes-Schild kennzeichnet beim 30. real,-Berlin-Marathon am 28. September 2003 einen speziellen IDAA-Versorgungspunkt für Menschen mit Diabetes mellitus.

Bereits im Vorfeld informierten sich diabetische Läuferinnen und Läufer über die genaue Lage der Versorgungspunkte der deutschen Sektion der International Diabetic Athletes Association (IDAA), einer Vereinigung diabetischer Sportler. Im Rahmen der Marathonmesse trafen sich die Teilnehmer und IDAA-Helfer im stillgelegten Café Brandenburg auf dem Messegelände am Funkturm. Ulrike Thurm, Mitbegründerin und Vorsitzende der IDAA in Deutschland, hob für alle sichtbar ein Diabetes-Schild hoch, das während des Laufs die Diabetes-Stationen an Start und Ziel sowie bei Kilometer 10, 20 und 30 kennzeichnet.

Ulrike Thurm Leichte Nervosität breitet sich aus, die Marathonläufer wirken beinahe wie Rennpferde vor dem Start. Doch Ulrike Thurm beruhigt die Anwesenden mit klaren Anweisungen: "Die ehrenamtlichen Helfer an den Versorgungspunkten wissen, was bei Unter- oder Überzuckerungen zu tun ist. Für ausreichend Insulin und Kohlenhydrate (Bananen, Glukose-Gel, Cola und Traubenzucker) ist gesorgt. Ich laufe mit, bin aber während des Marathons über Handy erreichbar." Nun heißt es ruhig bleiben. Die diabetischen Läufer geben ihre Zeiten an, wann sie die Versorgungspunkte voraussichtlich erreichen werden. Dann müssen sie, wir alle anderen Marathonteilnehmer, die Energiereserven des Körpers mit reichlich Kohlenhydraten auffüllen. An diesem Abend werden in Berlin die Pizzerien überfüllt sein und der Absatz von Spaghetti- und Nudelgerichten seinen Jahreshöchststand erreichen.

Die sportlichen Diabetiker kennen ihren Körper genau. Viele sind bereits in den letzten Monaten 60 Kilometer und mehr pro Woche im Training gelaufen. Und wie reagiert der Stoffwechsel darauf? Vor allem Unterzuckerungen kommen schon einmal vor, "weil ich mich verschätze, oder das Insulin sich eben ganz anders auswirkt als ohne diese extreme Bewegung", sagt Herbert aus Lütgenburg, und rät: "Bis zum Lauf reichlich Kohlenhydrate essen, locker bleiben, den Zucker hochpushen und darauf achten, dass nicht zuviel Insulin im Blut ist! Ich werde zur Sicherheit bei Kilometer 20 und 30 den Blutzucker testen lassen. Die paar Sekunden nehme ich in Kauf."

Arno aus Österreich Aufkommende Unterzuckerungen spürt der Diabetiker meistens sehr schnell. Sein Puls steigt unvermittelt an und er fühlt sich auf einmal komplett schwach. Dann müssen dringend schnellwirksame Kohlenhydrate her. Trotzdem ist die Blutzuckermessung während des Marathons enorm wichtig, denn je nach Trainingsform und Laufgeschwindigkeit ändert sich der Insulin- bzw. Kohlenhydratbedarf. "Wenn man etwas Schnelles macht, steigt der Zucker extrem an, wenn du langsam und lange läufst, verbrauchst du irrsinnig viel Zucker! Weil man vorher nie weiß, was ist, geh' i ohne Messgerät nimmer laufen!", sagt Arno im charmanten Dialekt seiner österreichischen Heimat. Er schätzt, das er in drei Stunden 15 Minuten im Ziel ist, doch wichtiger ist es ihm, "gesund ins Ziel zu kommen, und dass man die letzten 12 Kilometer auch noch genießt. Das ist meistens der gefährliche Abschnitt, wo etwas passieren kann."

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Warum nehmen Diabetiker am Marathon teil?

Klar, beim 30. real,-Berlin-Marathon - dem Jubiläumslauf - mit einer Rekordbeteiligung von über 35.000 gemeldeten Läufern aus 91 Ländern und über einer Million Zuschauern dabei zu sein, ist per se schon etwas ganz Besonderes. Aber haben diabetische Läufer darüber hinaus einen Grund, sich den Strapazen eines Marathons auszusetzen? Wollen sie beweisen, dass Diabetiker leistungsfähig sind? Dass sie eine Strecke von über 42 Kilometern laufen können, die manch Gesunder nicht einmal mit dem Fahrrad bewältigt?

Isabell, erst seit einem Jahr Diabetikerin, wollte ohnehin am Marathon teilnehmen. Der Diabetes ist ihr mehr oder weniger dazwischen gekommen. Und dann kam das Gefühl dazu: "Jetzt erst recht! Ich will Freunden, Bekannten und der Familie zeigen, dass ich nicht krank bin", betont die junge Frau aufgeregt und vor freudiger Erwartung strahlend.

Auch Volker aus Donauwörth will beweisen, dass Diabetiker genauso leistungsfähig wie Nicht-Diabetiker sind. Doch er hat noch einen Grund für seine Teilnahme am Berlin-Marathon: "Ich laufe mit, weil die Läufer der IDAA teilnehmen, mit denen ich auch sonst laufe", erklärt der schüchterne Süddeutsche, dem die Nervosität anzumerken ist.

Arno reizt die Kulisse, die große Zahl der Teilnehmer und Zuschauer sowie das Gefühl, an die eigenen Grenzen zu gehen. "Ab Kilometer 30 musst du deinen Körper genau kennen - wissen, ob du müde oder unterzuckert bist." Und auch er will zeigen, dass Diabetiker sogar zu Höchstleistungen in der Lage sind: "Es ist schon schön, wenn man einige Gesunde hinter sich lässt. Im Inneren sagt man dann - Super!", gesteht er mit einem verschmitzten Lächeln.

Sonntag Morgen: Der große Tag ist da

Bei strahlendem Sonnenschein starten die Teilnehmer des 30. real,-Berlin-Marathons am Brandenburger Tor. Die Temperaturen und die flache Strecke sind ideal für den Lauf, die Kulisse ist traumhaft. Bei Kilometer 10 steht neben den IDAA-Helferinnen ein Feuerwehrauto für alle Fälle bereit. Dafür hat sich Andreas, ein Berliner Feuerwehrmann mit Diabetes, stark gemacht.

Marathon-Läufer Bei Kilometer 30 haben Ramona, Diabetesassistentin DDG, und Claudia, Diabetesberaterin DDG, alles für die Spezialversorgung der Läufer vorbereitet. Der Stand ist aufgebaut, das Diabetes-Schild angebracht und die Blutzuckermessgeräte sind "geschärft". Sie wissen, dass die ersten angemeldeten Diabetiker erst in rund 40 Minuten hier sein werden. Die ersten Läufer passieren den Stand, unter ihnen der Kenianer Paul Tergat, der später mit seinem Weltrekord Marathon-Geschichte schreiben wird. Am Straßenrand sammeln sich zahlreiche Zuschauer, und ein Kind trommelt auf einer großen Konservendose. Das "Lauffieber" wirkt ansteckend. "Wenn ich genügend Zeit für's Training finde, laufe ich nächstes Jahr mit", verspricht Claudia der Standkollegin.

Die Helfer von Kilometer 20 melden sich: "Die ersten Diabetiker haben den Stand passiert. Sie sind in guter Verfassung". Die Becher vom regulären Versorgungspunkt bilden einen Teppich auf der Straße, es knistert und knackt, wenn sie plattgetreten werden. Das IDAA-Team bei Kilometer 30 schaut noch intensiver auf die Läufer, ob vielleicht schon ein Diabetiker dabei ist. Und da kommt Arno - fünf Minuten später als erwartet. Aber er sieht aus, als ob er noch gute Reserven für den Endspurt hat. Noch im Laufen verleiht er seiner Freude über den speziellen Versorgungsstand Ausdruck: "Es gibt einem ein sehr gutes Gefühl, dass ihr hier seid! Einmal messen, bitte." Der Wert ist ok., weiter geht's, winken und Tschüß.

Die Reihen der Läufer werden dichter. Manche schauen verwundert, was hier wohl geschieht. Ein Diabetiker, der nicht auf der Liste steht, bittet auf Englisch um eine Blutzuckermessung. Sie wird unverzüglich vorgenommen. Der Wert ist etwas zu niedrig für den Lauf. "Wollen Sie Cola oder Glukose-Gel?", fragt Ramona freundlich. Das Getränk wird angenommen, und selbst für ein kurzes Dankeschön ist noch Zeit. Dann verschwindet der Marathon-Läufer hinter der nächsten Kurve.

Marathon-LäuferDie erste Frau mit Diabetes erreicht den Versorgungspunkt. Innerhalb weniger Sekunden steht der Blutzuckerwert fest. Eine Korrektur ist überflüssig, aber "zur Sicherheit nehme ich noch Glukose-Gel mit, falls der Blutzucker auf den letzten 12 Kilometern noch abrutscht", und schon läuft auch sie weiter in Richtung Ziel.

Immer mehr Läufer mit Diabetes erreichen den Stand. Messen, auf zu niedrige oder hohe Blutzuckerwerte reagieren und weiter geht's. Alles läuft reibungslos wie beim Boxenstopp in der Formel 1. Zwischendurch gibt es für die IDAA-Helferinnen eine Pause. Doch dann kommen zwei Diabetiker gleichzeitig. Kein Problem! Auch in diesem Fall wird besonnen und zügig der Blutzucker bestimmt. Die meisten Diabetiker bekommen Kohlenhydrate und alle aufmunternde Worte mit auf den Weg.

Marathon-Läufer mit Propeller Später kommen Läufer mit Diabetes, die vor allem die Strecke schaffen wollen. Es geht ihnen nicht um die Zeit. Spaß soll der Marathon machen! Peter läuft mit einem Freund und - wie im vergangenen Jahr - mit einem kleinen Propeller an der Mütze. Der ist lustig, müsste aber deutlich größer sein, um damit ins Ziel fliegen zu können.

Ulrike Thurm, die Organisatorin der speziellen Diabetiker-Versorgung beim 30. real,-Berlin-Marathon, läuft bewusst hinter den anderen Diabetikern und erreicht als letzte den Versorgungspunkt bei Kilometer 30. Wie an den vorherigen Stationen, fragt sie auch hier beim Warten auf das eigene Messergebnis, nach den Blutzuckerwerten der Läufer mit Diabetes. Nach einer kurzen Stärkung startet sie zum Endspurt, um mit der vor ihr laufenden Diabetikerin gemeinsam die Ziellinie zu erreichen. Dabei wird sie so schnell, dass sie die junge Frau überholt. Aber wenige Minuten später kann sie aufatmen: Jetzt sind alle gemeldeten Läufer mit Diabetes wohlbehalten im Ziel.

Zu diesem Zeitpunkt war Arno, der schnellste von ihnen, schon längst angekommen. Mit 3 Stunden  und 8 Minuten lag er unter seiner geschätzten Zeit und hat locker 30.000 Nicht-Diabetiker hinter sich gelassen. Super!

Autor: hu; zuletzt bearbeitet: 14.10.2003 nach oben

Bildquelle: Diabetes-Portal DiabSite.

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