Das unabhängige Diabetes-Portal DiabSite

Home > Aktuelles > Diabetes-Nachrichten > Archive > 2009 > 090716

Erstattungsfähigkeit kurzwirksamer Insulinanaloga bei Kindern

Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie AGPD

Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin und der Deutschen Diabetes-Gesellschaft zum Berichtsplan des IQWiG zum Auftrag des G-BA zu Kurzwirksamen Insulinanaloga bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus Typ 1 - Nachfolgeauftrag. Auftrag A08-01.

Vorbemerkung:

Am 17.07.2008 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) beauftragt, eine neue Untersuchung zum ursprünglichen Auftrag A05-02 "Kurzwirksame Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 1" durchzuführen. Am 22.9. ist der Berichtsplan zum Nachfolgeauftrag erschienen, wobei sich die Untersuchung nur auf Kinder und Jugendliche beziehen ("A08-01Kurzwirksame Insulinanaloga bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus Typ 1 - Nachfolgeauftrag"). Dieser weist gegenüber dem Berichtsplan bei Erwachsenen nur geringfügige Änderungen auf und hat aus Sicht der Kinderdiabetologen wichtige pädiatrische Inhalte nicht berücksichtigt.

In früheren Untersuchungen kam das IQWiG zu dem Schluss, dass der Zusatznutzen durch Insulinanaloga nicht belegt sei. Dies war die Grundlage für den Beschluss des G-BA am 21. Februar 2008, dass kurzwirksame Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 1 in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht verordnungsfähig sind, solange sie mit Mehrkosten im Vergleich zu kurzwirksamem Humaninsulin verbunden sind.

Nicht zuletzt aufgrund der starken Proteste vieler Selbsthilfegruppen, wurde dieser Beschluss vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) nicht uneingeschränkt akzeptiert. Der Verordnungsausschluss sollte nicht für Versicherte bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gelten. Gegen dieses Veto des BMG geht der G-BA nun vor und hat deshalb die neue Untersuchung durch das IQWiG beauftragt. Als Anlass für die Neuuntersuchung werden seitens des IQWiG gegenüber dem Auftrag A05-02 jetzt vorliegende Studienergebnisse genannt.

Die bereits von der AGPD und DDG im Verfahren zu Auftrag A05-02 bemängelten methodischen Fehler im Umgang mit der Arzneimittelbewertung bei Kindern werden jedoch auch im Berichtsplan zu A08-01 nicht berücksichtigt, so dass ein ähnliches Ergebnis wie im Verfahren zur A05-02 vorgezeichnet erscheint. Aus diesem Anlass hatte die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie (AGPD) als AG der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) zeitnah zu einem Scoping-Workshop im Rahmen seiner Jahrestagung in Bremen am 7.11.2008 eingeladen. Zentrales Thema sollte ein Informationsaustausch über das wissenschaftliche Vorgehen zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln im Kindesalter darstellen.

Während der Leiter des IQWiG in einem persönlichen Gespräch zunächst die Teilnahme eines Vertreters seines Instituts an dem Workshop signalisiert hatte, wurde diese Zusage kürzlich zurückgezogen, da im laufenden Beratungsverfahren solche Veranstaltungen nicht vorgesehen sind. AGPD und DDG bedauern dies außerordentlich und legen im Folgenden zwei wesentliche Kritikpunkte am Berichtsplan dar.

1. Der Berichtsplan (vorläufige Version) stellt eine unzulässige Beschränkung auf die Zielgrößen der erwachsenen Menschen mit Typ 1 Diabetes dar

Die Zielgrößen für die erwachsenen Patienten wurden unverändert in den vorläufigen Berichtsplan übertragen. Erneut werden in diesem Verfahren den international anerkannten Besonderheiten der Kinderdiabetologie nicht berücksichtigt. Bereits im Rahmen der mündlichen Anhörung des G-BA am 13. September 2007 wie auch unserer Stellungnahmen im Verfahren A05-02 waren die Argumente der Besonderheiten pädiatrischer Diabetologie dargelegt worden, aber weder für die Konkretisierung des Auftrages noch für die Formulierung des Berichtsplans berücksichtigt.

Deutlich wird dies zum Beispiel an den Vorgaben zur Studiendauer. Diese sind einfach aus den bereits publizierten Berichtsplänen zum Typ-1-Diabetes übernommen worden. Vorhandene spezifische Literatur für die Besonderheiten klinischer Studien einer pädiatrischen Population (ICH E 11) wurden nicht einbezogen. So bezieht sich der Berichtplan hinsichtlich der Mindeststudiendauer nur auf die Anforderungen der allgemeinen "note for guidance on clinical evaluation of medicinal products in the treatment of diabetes mellitus" der EMEA, ohne die Anforderungen der für Kinder spezifischen guideline ICH E 11 ("Clinical Investigation of Medicinal Products in the Paediatric Population") zu berücksichtigen.

2. Fehlende Berücksichtigung von Daten, die die Versorgungsrealität abbilden

Um diesem Standardvorgehen der EbM gerecht zu werden, darf die Suchstrategie nicht auf RCTs beschränkt bleiben. Gerade in der Kinderheilkunde können Fragestellungen oft nicht durch Daten aus randomisierten Studien beantwortet werden. Auf diese Problematik ist zum Beispiel im Verfahren zur Konsensbildung zur Insulinpumpenbehandlung bei Kindern hingewiesen worden.[1] Im Rahmen der evidenzbasierten Medizin gilt es als etabliert, dass in solchen Fällen auch Daten Beobachtungsstudien oder Studien mit Surrogatparametern berücksichtigt werden müssen. Eine solche Suchstrategie ist vorab im Berichtsplan zu definieren. Dies ist nicht erfolgt.

Wegen der eingeschränkten Übertragbarkeit der Ergebnisse von RCTs in selektierten Patientengruppen auf die tägliche Praxis in der Pädiatrie und die lokalen, nationalen Gegebenheiten ist die zusätzliche Berücksichtigung von Daten aus der Versorgungsrealität selbst beim Vorliegen von Ergebnissen randomisierter Studien erforderlich. Der durch den vorliegenden Berichtsplan programmierte Verstoß gegen den gesetzlichen Auftrag zur sozialrechtlichen Nutzenbewertung kann nur durch Berücksichtigung auch solcher Daten behoben werden, die in anderen Studienformen als RCT gewonnen wurden. Insbesondere sind hier auch die Ergebnisse der Versorgungsforschung zu berücksichtigen. Durch die geringen Fallzahlen von Diabetes mellitus Typ 1 im Kinder- und Jugendalter bekommt dieses Problem eine besondere Bedeutung.

Fazit

Kurzwirksame Analoga werden gegenwärtig von fast 15.000 Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes in Deutschland eingesetzt. Patientenrelevante Vorteile der kurzwirksamen Insulinanaloga bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus Typ 1 sind nach unserer Meinung auf mehreren Beurteilungsebenen mittels dem jeweiligen Standard entsprechenden klinischen Studien bereits in den Beratungen zum Auftrag A05-02 wissenschaftlich belegt worden. Diese Einschätzung deckt sich auch mit der Erfahrung praktisch tätiger Kinderdiabetologen, der Patienten und ihrer Eltern.

Erneut wurden diese Gruppen bisher nur unzureichend von der Systematik des IQWiG erfasst. Sowohl hinsichtlich der Anwendungsgebiete (Insulinpumpentherapie, Kleinkinder), der Anwendung (verkürzter Spritz-Ess-Abstand, kürzere Wirkdauer, postprandialer Blutzuckerverlauf), als auch im Bereich der Therapiezufriedenheit werden relevante Vorteile der kurzwirksamen Insulinanaloga bei pädiatrischen Patienten mit Typ-1-Diabetes durch den vorliegenden Berichtsplan nicht ausreichend erfasst.

Die Arbeitsmethodik und insbesondere die willkürliche Wahl der Einschlusskriterien und die einseitige Interpretation des IQWiG führen dazu, dass der reale Zusatznutzen im Vergleich zum Humaninsulin mit dem vorliegenden Berichtsplan bei Kindern nicht erkannt werden kann. Unter geänderten Arbeitsvorgaben würden die Vorteile der kurzwirksamen Insulinanaloga in der Behandlung des Typ-1-Diabetes dann auch für Kinder und Jugendliche sichtbar.

Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit oder den tatsächlichen therapeutischen Nutzen nach §92 Abs.1 SGB V erfordert pädiatrische Expertise für das spezielle Anwendungsgebiet bei Kindern und Jugendlichen.

Das Bundesministerium für Gesundheit hatte mit Schreiben vom 8. Mai 2008 zum Beschlussentwurf des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Erstattung kurzwirksamer Insulinanaloga bei Typ-1-Diabetes mellitus darauf hingewiesen, dass für die Insulinbehandlung bei Minderjährigen andere Beurteilungsmaßstäbe anzulegen seien. Diese Ausrichtung ist in der vorläufigen Berichtsplanung nicht erkennbar.

Die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie und die Deutsche Diabetes Gesellschaft wird sich bemühen, eine breite internationale und nationale wissenschaftliche Diskussion über den Berichtsplan des IQWiG anzuregen, damit Menschen mit Typ-1-Diabetes in Deutschland nicht durch international unübliches wissenschaftliches Vorgehen Nachteile gegenüber Patienten in anderen Ländern haben.

Quelle

  • Phillip M, Battelino T, Rodriguez H, Danne T, Kaufman F; European Society for Paediatric Endocrinology; Lawson Wilkins Pediatric Endocrine Society; International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes; American Diabetes Association; European Association for the Study of Diabetes. Use of insulin pump therapy in the pediatric age-group: consensus statement from the European Society for Paediatric Endocrinology, the Lawson Wilkins Pediatric Endocrine Society, and the International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes, endorsed by the American Diabetes Association and the European Association for the Study of Diabetes. Diabetes Care. 2007 Jun;30(6):1653-62.

Das könnte Sie auch interessieren:

zuletzt bearbeitet: 16.07.2009 nach oben

Unterstützer der DiabSite:

Birgit Ruben

Birgit Ruben

Weitere Angebote:

Spendenaufruf Ukraine

Hilfeaufruf Ukraine

Diabetes-Portal DiabSite startet Spendenaufruf für Menschen in der Ukraine.