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Erfolgreiche Integration von Kindern mit Diabetes ausgezeichnet
Zweiter Preis des Fine Star geht an das Kinder- und Jugendhaus Apolda
Integrative Einrichtung für gesunde und diabeteskranke Kinder gewinnt den mit 5.000 Euro dotierten 2. Platz beim Fine Star 2011, dem Bayer-Preis für kreative Kinderdiabetes Projekte.
Noch vor knapp zwei Jahren besuchte Adrian die Schule nur, wenn sein Diabetes es zuließ. Seine alleinerziehende, berufstätige Mutter bemühte sich zwar, die Erkrankung zu managen, doch immer wieder kam es zu schwerwiegenden Stoffwechselentgleisungen. So verbrachte Adrian oft mehrere Wochen im Jahr im Krankenhaus. Zu den schulischen kamen seelische Probleme: Der Junge wollte seine Krankheit nicht akzeptieren und Hänseleien von Mitschülern machten ihn zu einem Außenseiter. Seine Mutter fühlte sich mehr und mehr mit der Situation überfordert. Seit knapp zwei Jahren lebt der heute 13-Jährige im Kinder- und Jugendhaus "An der Glockengießerei" in Apolda. Hier hat er gelernt, mit dem Diabetes zurecht zu kommen und Verantwortung für seine chronische Erkrankung zu übernehmen.
Integrative Betreuung, individuelle Förderung und Geborgenheit
Unter dem Dach der "Hilfswerk für jugendliche Diabetiker gGmbH" werden im Nordosten Thüringens seit 1993 Kinder mit Diabetes betreut. Zurzeit leben rund 50 Kinder und Jugendliche in der Einrichtung, die als Kinderheim auf eine bereits 150-jährige Tradition zurückblickt. Von den 50 betreuten Kindern haben 15 einen Diabetes Typ 1. Weil im häuslichen Umfeld keine altersgerechte Entwicklung möglich war und Unter- oder Überzuckerungen oft nicht rechtzeitig verhindert werden konnten, wohnen sie nun in der Apolda-Gemeinschaft. Die Kinder mit Diabetes leben integrativ - verteilt auf vier Wohngruppen mit je sieben Bewohnern - zusammen mit gesunden Kindern und Jugendlichen. Sie werden individuell gefördert, besuchen die Schule, schließen Freundschaften, treten Sportvereinen bei und gehen ihren Hobbys nach.
Ein engagiertes, multidisziplinäres Team von vier Betreuern je Wohngruppe übernimmt ihre Obhut und gibt alles dafür, den Alltag für die Kinder so normal wie möglich zu gestalten. Zum Betreuer-Team zählen Heilpädagogen, Therapeuten, Psychologen und die Diabetesberaterin Beatrice Wolf. Gemeinsam geben sie den Kindern Sicherheit, Geborgenheit und Aufmerksamkeit, achten dabei jedoch auch auf die notwendige Konsequenz und Disziplin, die im Leben mit Diabetes so wichtig ist. "Den Kindern wurde zu Hause oft zu viel zugemutet. Schon in jungen Jahren mussten viele sich selbst organisieren und eigenständig um ihre Erkrankung kümmern. Oft haben die Kinder ihren Diabetes einfach ignoriert. Bei uns können sie wieder Kind sein, ein Stück von ihrer Verantwortung in unsere Hände geben und den Umgang mit ihrer Erkrankung erlernen", erklärt Beatrice Wolf.
Auch Fine Star-Jurymitglied Michael Bertsch, Initiator des Internetportals Diabetes-Kids.de, hält die integrative Einrichtung für herausragend: "Gerade Kinder und Jugendliche mit Diabetes, die familiäre, soziale oder psychische Probleme haben, können durch eine zeitweilige Unterbringung in Apolda aufgefangen werden. Durch eine altersgerechte und intensive Betreuung lernen sie, ihren Diabetes selbst in die Hand zu nehmen. Für dieses Engagement hat das Kinder- und Jugendhaus den mit 5.000 Euro dotierten zweiten Platz des Bayer-Preises Fine Star 2011 mehr als verdient."
Ein stabiler Stoffwechsel benötigt eine starke Seele
Dass die Kinder sich im Kinder- und Jugendhaus wohlfühlen, wird auch in der Diabetestherapie sichtbar: Wie bei Adrian stabilisiert sich in der Gemeinschaft häufig der Stoffwechsel zum ersten Mal im Leben. Die bis dahin regelmäßig aufgetretenen, folgenschweren Entgleisungen werden immer seltener. Lag zum Beispiel der Blutzuckerlangzeitwert des 13-Jährigen bei der Aufnahme in Apolda bei alarmierenden 11 Prozent - so hat sich sein HbA1c aktuell bei etwa 7,8 Prozent eingependelt - eine bemerkenswert gute Entwicklung.
Unter der Anleitung von Diabetesberaterin Beatrice Wolf lernen die Kinder, was sie für stabile Blutzuckerwerte tun müssen: Kohlenhydrateinheiten in Lebensmitteln berechnen, regelmäßig den Blutzucker messen, sich Insulin spritzen und ein Blutzucker-Tagebuch führen. Doch nicht nur die körperliche Gesundheit der Kinder und Jugendlichen haben sie in Apolda im Blick: "Wir fördern auch die soziale und seelische Entwicklung der Kinder. Dazu gehören ein erfolgreicher Schulbesuch, die Stärkung des Selbstvertrauens sowie eine altersentsprechende Selbstständigkeit", so der Geschäftsführer Uwe Scharf.
Dienst nach Vorschrift? Fehlanzeige!
In Apolda wird der Alltag wie in einer "normalen" Familie gestaltet - die emotionale Bindung zwischen den Kindern und ihren Betreuern ist dementsprechend stark: In den Gruppen wird vor der Schule gemeinsam gefrühstückt. Dazu gehören routinierte Blutzuckermessungen und Insulininjektionen. Nach Schulschluss haben die Kinder Zeit für Hausaufgaben und ihre Hobbys, treiben Sport, spielen zusammen in den Gemeinschaftsräumen oder auf dem hauseigenen Bolzplatz. Einmal in der Woche wird jedes Kind therapeutisch behandelt, einmal im Monat finden Diabetes-Schulungen statt und alle sechs Wochen steht eine Untersuchung bei einer Kinderdiabetologin an.
Die Betreuer übernehmen die Rolle von "Ersatzeltern auf Zeit" und bemühen sich, stets ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Schützlinge zu haben. Geregelte Arbeitszeiten gibt es dabei selten, denn wenn irgendwo der Schuh drückt oder die Kinder noch spät abends ihre Sorgen besprechen wollen, geht niemand nach Hause. Auch nachts und an Feiertagen ist immer eine Stammbesetzung im Kinder- und Jugendhaus, um den Kindern ein Gefühl von Familie und Sicherheit zu geben. Bei festlichen Ereignissen - wie Jugendweihen, Einschulungen und Abschlussfeiern - sind es die Betreuer, die mit den Kindern die Feiern vorbereiten, Geschenke einkaufen und die besonderen Stunden mit ihnen verbringen. Älteren Kindern stehen die Betreuer auch bei der Wohnungs- oder Ausbildungsplatzsuche zur Seite.
Auf ein Highlight freuen sich die Kinder jedoch jedes Jahr ganz besonders: Im Sommer fahren die Betreuer mit ihren Gruppen gemeinsam in den Urlaub - ans Meer oder in die Berge. "Da kann kommen was will, alle fahren mit und nehmen sich ihren privaten Urlaub. Niemand von uns würde das verpassen wollen - es geht doch schließlich um unser Haus, unsere Kinder und unseren Diabetes!", so Beatrice Wolf.