Das unabhängige Diabetes-Portal DiabSite

Home > Aktuelles > Diabetes-Nachrichten > Archive > 2012 > 120606

Überernährung führt oft zu Schwangerschaftsdiabetes

Die Gene essen mit

Der epigenetische Einfluss von Nahrung, Psyche und Lebensstil auf unsere Gesundheit

Das Institut Danone Ernährung für Gesundheit e.V. (IDE) widmete seinen 14. wissenschaftlichen Workshop "Wie Essen und Umwelt die Gene steuern" den epigenetischen Einflüssen auf die Gesundheit. Er wurde am 10./11. Mai 2012 in Kooperation mit der Abteilung Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin des Dr. von Haunerschen Kinderspitals, Klinikum der Universität München, durchgeführt.

Der wissenschaftliche Workshop des IDE schlug einen spannenden Bogen zwischen heute schon gesicherten und neuen überraschenden Fakten. War man früher der Meinung, dass unsere Gene unser Leben in festen, unabänderlichen Bahnen leiten, zeichnet sich heute eine neue Sichtweise ab. Denn der noch junge Wissenschaftszweig der Epigenetik setzt derzeit neue Meilensteine in der Ernährungsforschung.

Die Epigenetik beschreibt, wie die Aktivitätszustände unserer Gene durch Umweltfaktoren wie Qualität und Quantität des Nahrungsangebotes, Hormone oder Lebensstil beeinflusst werden. Vor allem in den ersten 1000 Tagen nach der Befruchtung einer menschlichen Eizelle - also in Schwangerschaft und den ersten Lebenswochen nach der Geburt - sind epigenetische Prägungen heute schon bekannt, mit Langzeiteffekten für die Gesundheit des Menschen. Demnach zeichnet sich vor dem Hintergrund aktueller Forschung ab, dass Hans nur schwer lernen wird, was Hänschens Mutter nicht lernte.

Das Erbmaterial des Menschen basiert auf 25.000 menschlichen Genen. Dabei entscheiden nur geringfügige Unterschiede von 0,1 Prozent im genetischen Erbmaterial über die Verschiedenheit zweier Menschen, wie Haarfarbe, Größe, Gesundheit oder Krankheit. Noch andere Faktoren müssen also bei der Krankheitsentstehung ausschlaggebend sein: Sogenannte epigenetische Strukturen wirken wie Schaltersysteme, die die Gene in einer Zelle an- oder abschalten können. Sie geben einer Zelle im Laufe ihres Lebens Identität und Gedächtnis. Und sie reagieren auf Ernährungs- und Umweltsignale.

Schwangerschaft und frühe Kindheit nehmen Einfluss auf die Gene

Das menschliche Genom ist also nicht in Stein gemeißelt. Im Gegenteil, Gene werden in empfindlichen Zeitfenstern, wie der Schwangerschaft und der frühen Kindheit geprägt. Einflussnehmende Faktoren dabei sind z. B. Hunger, hochkalorische Kost, Allergenexposition oder psychischer Stress. Prof. Berthold Koletzko, Abteilung Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin des Dr. von Haunerschen Kinderspitals München, beschrieb die wichtigen metabolischen Prägungen, die für das Krankheitsrisiko von früher Kindheit an bis ins hohe Alter ausschlaggebend sind.

Mütterliches Übergewicht oder Adipositas sowie eine übermäßige Gewichtszunahme in der Schwangerschaft erhöhen das Adipositasrisiko im späteren Leben des Kindes deutlich. Auch ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infektionen, chronisch-entzündliche Erkrankungen u.a. ist heute eindeutig: Besonders riskant ist ein niedriges Geburtsgewicht kombiniert mit einer sehr schnellen anschließenden Gewichtszunahme. Aus diesen Fakten nutzbare Verbesserungen der Ernährung in der Schwangerschaft und in früher Kindheit zu erforschen ist auch Aufgabe des internationalen "Early Nutrition Project". Prof. Koletzko betonte: "Wir sehen hier enorme Chancen für eine wirksame Prävention."

Ernährung steuert die Gesundheit bereits vor der Geburt

Dass Prävention bereits im Mutterleib beginnt, beschrieb Prof. Andreas Plagemann, Universitätsmedizin Charité Berlin. Aus Überernährung resultiert immer öfter ein Schwangerschaftsdiabetes. Weltweit steigen die Zahlen übergewichtiger Schwangerer mit Diabetes an. Der vor kurzem in Deutschland für Schwangere eingeführte Glucosetoleranz-Test ist notwendig und hilfreich. Zudem ist das Stillen eine der besten Vorbeugemöglichkeiten gegen Übergewicht. Ob ein Neugeborenes gestillt wird oder nicht, beeinflusst seine Gewichtsentwicklung deutlich. Gestillte Kinder nehmen weniger stark zu. Das "European Childhood Obesity Project", vorgestellt von Dr. Veit Grote (Dr. von Haunersches Kinderspital München) unterstützt eine grundsätzlich niedrige Proteinzufuhr im Säuglingsalter. Das spätere Adipositasrisiko kann dadurch deutlich gesenkt werden.

Wie der Körper "Zeitfenster" für sich am besten nutzt, beschrieb eindrucksvoll Prof. Sybille Koletzko, Abteilung Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin des von Haunerschen Kinderspitals. Die aktuelle Forschung zeigt, dass glutenhaltiger Getreidebrei am besten im fünften bis sechsten Monat in die Kost eingeführt werden sollte. Nur dann liegt ein geringeres Risiko für die Entwicklung einer Zöliakie beim Kleinkind vor, da der Körper Fremdeiweiße hier am besten toleriert. Die prospektive Interventionsstudie "Prevent Coeliac Disease" wird hierzu weitere Aufklärung bringen.

Allergieprävention schon während der Schwangerschaft

Kinder die auf Bauernhöfen aufwachsen, haben wegen des häufigeren Kontakts mit Allergenen seltener Asthma, Heuschnupfen und Hautekzeme. Schon im Mutterleib könnte dies seinen Grund haben, was auf Umwelteinflüsse auf die genetische Situation im Körper hindeutet. Neue Untersuchungen zeigen einen höheren Gehalt spezieller Immunzellen im Nabelschnurblut Neugeborener von Bauerhöfen. Diese Immunzellen können eine überschießende Immunreaktion wieder beruhigen. Auch Stallstaub im Schlafzimmer hat einen Schutzeffekt vor allergischen Erkrankungen, so Prof. Mutius von der Asthma- und Allergieambulanz des Dr. von Haunerschen Kinderspitals München.

Für die Epigenetik gibt es künftig weitere, spannende Themenfelder zu bearbeiten: So gibt es heute schon erste Fakten zum Zusammenhang von Genom und psychischem Stress, Vitamin D oder speziellen Krebstherapien, die der weiteren Erforschung bedürfen. Dazu sind höhere Forschungsinvestitionen in die Epigenetik notwendig. Prof. Günther Wolfram, Präsident des gemeinnützigen IDE, betonte zusammenfassend: "Für uns ist es sehr wichtig, dass derartige Erkenntnisse in der Ernährungsaufklärung stärker vermittelt werden. Mütter, Väter und Fachkräfte in der Gesundheitsberatung müssen über die frühen Vorbeugechancen besser Bescheid wissen."

Ein Bericht mit Kurzfassungen zu allen wissenschaftlichen Vorträgen kann kostenlos in der IDE-Geschäftstelle angefordert werden. Der ausführliche Kongressbericht wird 2013 veröffentlicht.

Das könnte Sie auch interessieren:

zuletzt bearbeitet: 06.06.2012 nach oben

Unterstützer der DiabSite:

Dr. phil. Axel Hirsch

Dr. phil. Axel Hirsch

Weitere Angebote:

Spendenaufruf Ukraine

Hilfeaufruf Ukraine

Diabetes-Portal DiabSite startet Spendenaufruf für Menschen in der Ukraine.