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Bloß ein paar Kilos mehr?

Abstract zum Vortrag von Professor Dr. med. Hans Hauner, Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin, im Rahmen der Pressekonferenz der "Aktion 'gesunde' MwSt." am 13. November 2017 in Berlin.

Warum die bisherigen Therapien gegen Übergewicht nicht wirken

Professor Dr. med. Hans Hauner Übergewicht/Adipositas hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer globalen Epidemie entwickelt. Nach letzten Erhebungen sind weltweit derzeit rund 640 Millionen Menschen adipös und mehr als zwei Milliarden Erdbewohner gelten als übergewichtig. Die aktuellen Trends gehen eindeutig von einer weiteren Zunahme aus. Auch Deutschland ist davon betroffen. Fast 60 % der erwachsenen Bundesbürger überschreiten einen BMI von 25 kg/m2 und sind damit übergewichtig, fast 25 % sind mit einem BMI ≥ 30 kg/m2 adipös.

Adipositas wird heute nicht nur als eigenständige chronische Erkrankung gesehen, sondern ist gleichzeitig ein wichtiger, wenn nicht zentraler Schrittmacher für eine Vielzahl weitverbreiteter chronischer Krankheiten, die die Hauptbelastung für unser Gesundheitssystem darstellen. Dazu zählen insbesondere Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Krankheiten, bestimmte Krebserkrankungen wie z. B. Leberkarzinom, Darmkrebs, postmenopausaler Brustkrebs, Krankheiten des Stütz- und Bewegungsapparats und neurodegenerative Erkrankungen.In Abhängigkeit von Dauer und Ausmaß der Adipositas kommt es nicht nur zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität, sondern auch zu einer Verkürzung der Lebenserwartung.

Angesichts dieser gewaltigen Herausforderung stellt sich die Frage, was wir dagegen unternehmen und was unsere bisherigen Bemühungen zur Prävention und Behandlung der Adipositas gebracht haben. Der Schwerpunkt der bisherigen Aktivitäten lag eindeutig auf Aufklärung und Lebensstilberatung. Während Programme zur Vorbeugung der Adipositas auf eine gesunde Lebensweise zielen, umfassen etablierte Programme zur Behandlung der Adipositas in der Regel eine Kombination aus Begrenzung der Energiezufuhr, z. B. durch bestimmte Diätformen, eine Steigerung der körperlichen Aktivität und ein Verhaltensmodifikationstraining. Es fehlt weiterhin an wirksamen Medikamenten zur Gewichtssenkung, und für extrem adipöse Menschen kommen seit einigen Jahren immer häufiger chirurgische Verfahren zum Einsatz.

Sorgfältige Analysen in den letzten Jahren haben ergeben, dass die Wirksamkeit von Programmen, die auf Verhaltensänderung zielen, sehr begrenzt ist und damit dieser Epidemie nicht Einhalt geboten werden kann. Dies gilt sowohl für Programme, die sich an Kinder und Jugendliche richten, als auch für solche, die Erwachsene erreichen wollen. Diese Ansätze haben zudem den Nachteil, dass sie vor allem sozial schwächere und bildungsarme Bevölkerungsgruppen nicht erreichen, sodass diese Konzepte als weitgehend erfolglos angesehen werden und neue Strategien gesucht werden.

Die aktuellen Aktivitäten fokussieren deshalb auf gesamtgesellschaftliche Interventionen, die die adipogenen Lebensbedingungen zum Ziel haben ("Verhältnisprävention"). Es ist unbestritten, dass das moderne Lebensmittelangebot und die bestehenden Kostenstrukturen im Lebensmittelhandel zusammen mit ungezügelter Promotion in der Öffentlichkeit starke Treiber der Adipositasepidemie sind. Neuere Analysen betonen vor allem den ungünstigen Einfluss der ständigen Verfügbarkeit geschmacklich attraktiver, hochverarbeiteter und energiedichter Lebensmittel. Auch wenn die Ursachen komplex sind, zeitigen regulatorische Ansätze von Regierungen in einigen Ländern erste Erfolge. So hat beispielsweise die Einführung einer Zuckersteuer in manchen von ihnen zu einem deutlichen Rückgang des übermäßigen Zuckerverzehrs geführt. Modellrechnungen auf der Basis realer Studien zeigen, dass gezielte steuerliche Maßnahmen Kaufentscheidungen von Konsumenten signifikant im Sinne einer gesünderen Lebensmittelauswahl beeinflussen können.

Das deutsche Mehrwertsteuersystem für Lebensmittel begünstigt in hohem Maße ungesunde Lebensmittel und verteuert auf der anderen Seite gesunde Lebensmittelgruppen. Es erscheint daher naheliegend und sinnvoll, die Mehrwertsteuer von Lebensmitteln nach deren Gesundheitswert festzulegen, um damit ohne Änderung der Steuerlast eine gesundheitsförderliche Lebensmittelauswahl anzuregen. Dadurch sollte sich auch die Preisgestaltung in der Gastronomie ändern und zu einem gesünderen Angebot beitragen. Solche Maßnahmen sollten durch eine verbraucherfreundliche, einfache Lebensmittelkennzeichnung und durch Verbote unseriöser Werbung begleitet sein. Diese in der Öffentlichkeit leicht zu kommunizierenden Schritte könnten ein wertvoller Beitrag für die Gesundheit der Bevölkerung sein, ohne die freie Marktwirtschaft zu gefährden oder zu beeinträchtigen.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Bildunterschrift: Professor Dr. med. Hans Hauner
Bildquelle: Diabetes-Portal DiabSite

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zuletzt bearbeitet: 22.11.2017 nach oben

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