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Glukose-Toxizität

Abstract zum Vortrag von Professor Dr. med. Andreas Pfeiffer, Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetes und Ernährung, Charité - Campus Benjamin Franklin/Charité - Universitätsmedizin Berlin und Leiter der Abteilung für Klinische Ernährung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) Potsdam-Rehbrücke, im Rahmen der Vorab-Pressekonferenz zur 53. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 3. Mai 2018 in Berlin.

Wissenschaftliche Grundlagen der Schäden durch Zucker

Professor Dr. med. Andreas Pfeiffer Auch wenn die Bundesernährungsministerin Julia Klöckner behauptet, der Zucker sei nicht die Ursache der Adipositas, sondern man müsse den Gesamtkaloriengehalt betrachten, und die Wirtschaftsvereinigung für Zucker erklärt, dass Zucker kein Dickmacher sei und deshalb auch kein Risikofaktor für Zivilisationskrankheiten, gerät der Zuckerkonsum immer mehr in Kritik als wesentlicher Faktor bei der Entstehung ernährungsabhängiger Zivilisationskrankheiten wie Adipositas, Diabetes, Atherosklerose, aber auch Krebs. Auch wenn unserer Meinung nach die Gesamtkalorienzahl tatsächlich die Hauptrolle bei der Adipositasentstehung spielt, hat Zucker doch eine besondere Rolle durch seine Zusammensetzung, die ihn zu einem "Double-Hit"-Agenten macht. Dies ist unsere Argumentation:

Hit 1: Die Glukose im oberen Dünndarm: Glukose setzt aus den hormonproduzierenden Zellen des oberen Dünndarms, den K-Zellen, das Hormon glukoseinduziertes insulinotropes Peptid, GIP, frei. Hierfür ist der Stoffwechsel der Glukose in den L-Zellen der Stimulus und erforderlich. Das GIP ist der eigentliche Überträger der negativen Glukosewirkung, und zwar im Zusammenspiel mit, aber auch unabhängig von Insulin. Was macht GIP? Ohne GIP bewirkt Zucker weder die Entstehung einer Fettleber noch die Entstehung einer Insulinresistenz noch einer mahlzeiteninduzierten unterschwelligen Entzündung. Das kann man auf zwei Arten zeigen: Einerseits kann man GIP-Rezeptoren in Mäusen ausschalten, woraufhin diese Mäuse auch bei hohem Zuckerkonsum nicht mehr dick werden und keine Insulinresistenz entwickeln.

Andererseits kann man Zucker so formulieren, dass er kein GIP freisetzt, indem man die glykosidische 1,2-Verbindung zwischen Glukose und Fruktose durch eine 1,6-Verbindung ersetzt. Dadurch können die zuckerspaltenden Enzyme, die Disaccharidasen im Darm, den Zucker nur sehr langsam zerlegen, sodass er erst im unteren Dünndarm aufgenommen werden kann. Dieser Zucker macht keine Fettleber und keine Insulinresistenz bei Mäusen und zeigt bei Menschen eine viel geringere Wirkung auf den Blutzuckeranstieg und benötigt sehr viel weniger Insulin für seine Verstoffwechselung. Das GIP steuert einerseits im Fettgewebe die Lipolyse und bewirkt, dass weniger Fett aus den Speichern nach einer Mahlzeit verbrannt werden kann.

Weiterhin steuert es die Durchblutung im Darm, sodass das Blut möglichst effektiv mit seinen Nährstoffen zu den Speicherorganen kommt und nicht erst als Glykogen in der Leber abgelagert wird. Weiter wirkt das GIP auf das Gehirn, wo es die Freisetzung des appetitanregenden Hormones Neuropeptid Y (NPY) steigert. GIP bewirkt auch eine erhöhte Trägheit und vermindert die körperliche Aktivität, was ein wesentlicher Faktor in der Adipositasprävention durch GIP, insbesondere bei älteren Mäusen, ist. Die Gewichtszunahme mit dem Eintritt der Menopause scheint auch mit GIP zusammenzuhängen durch eine Reduktion der Aktivität und Steigerung des Appetits. GIP ist also insgesamt ein Hormon, das für die effektive Energiespeicherung nach Nahrung und den sparsamen Umgang mit gespeicherter Energie programmiert. Die GIP-Wirkung wird auch durch epigenetische Programmierung im Laufe des Lebens vermittelt, da GIP die Fettoxidation im Muskel hemmt, der gar keine GIP-Rezeptoren aufweist, aber trotzdem in Antwort auf das GIP eine verminderte Expression der fettoxidierenden Enzyme durch eine veränderte Promotor-Methylierung zeigt.

Hit 2: Der zweite Hit ist die Fruktose, die ganz anders wirkt: Fruktose wird nicht von den Darmzellen aufgenommen und setzt auch keine Darmhormone frei, sondern wird zu etwa 90 Prozent von der Leber extrahiert und verstoffwechselt. Fruktose wird in der Leber außerordentlich schnell durch die Ketohexokinase umgesetzt, wodurch außerordentlich viel Adenosintriphosphat (ATP) verbraucht wird, sodass der ATP-Gehalt in der Leber auch beim Menschen messbar absinkt. Dies wird als metabolischer Stress wahrgenommen und unterstützt die weitere Wirkung der Fruktose auf die Fettsynthese in der Leber.

Der Fruktosestoffwechsel stellt den Baustein NADPH für die Fettsynthese direkt bereit und Fruktose ist auch beim Menschen in einer höheren Dosis ein effektiver unmittelbarer Stimulator der Fettsynthese in der Leber. Dies wird auch in epidemiologischen Studien bestätigt, in denen die Fettleber eng mit dem Fruktosekonsum zusammenhängt. In kürzlich publizierten Studien an Kindern konnte sogar gezeigt werden, dass die kurzfristige Restriktion der Fruktoseaufnahme zu einer schnellen Verbesserung der Fettleber führt. Die Fruktose bewirkt weiter eine erhöhte Synthese der Harnsäure, eines Moleküls, das zunehmend in den Fokus der Stoffwechselforscher gerät.

Harnsäure ist bekannt für die durch sie ausgelöste Erkrankung Gicht, sie hat aber auch unmittelbare Wirkungen auf die Fettsynthese der Leber und wird mit anderen Stoffwechselstörungen wie beispielsweise einem erhöhten Blutdruck und Insulinresistenz in Zusammenhang gebracht. Interessanterweise können fast alle Spezies die Harnsäure durch das Enzym Uricase abbauen, das wir Menschen noch als Pseudogen besitzen und das wir vor etwa acht Millionen Jahren inaktiviert haben. Die Arbeitsgruppe um Rick Johnson hat durch genetische Studien zeigen können, dass die Uricase ein "Thrifty Gene" ist, also eins der Gene, das zu schnellerer Fettspeicherung ausgeschaltet wurde - wahrscheinlich als die großen Affen in Europa durch die beginnende Eiszeit nicht mehr ausreichend Nahrung fanden, sodass die Ausschaltung der Uricase die Fettspeicherung effektiver machte. Aus diabetologischer Sicht ist zudem bemerkenswert, dass die Harnsäure eine Rolle in der Progression der diabetischen Nephropathie und der Differenzierung von Fettzellen spielt.

Wenn man den langsam und weiter distal im Darm resorbierten Zucker Isomaltulose verabreicht, verschwinden die meisten dieser negativen Effekte, sowohl auf die Fettleber wie auch auf die Insulinsensitivität. Die langsamere Aufnahme auch der Fruktose vermeidet den metabolischen Stress in der Leber, sodass die Fruktose lediglich als Energieträger eine Rolle spielt.

Nach diesen Ausführungen ist Zucker in der Tat ein besonders ungünstiges Molekül, das die verschiedenen Aspekte der zivilisatorischen Stoffwechselkrankheiten besonders fördert. Die Verwendung von Isoglukose, also von freien Zuckern wie Glukose und Fruktose in Gemischen, wird dieselbe Wirkung eventuell noch ausgeprägter haben, da freier Zucker noch schneller resorbiert werden kann. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach einer Reduktion des Zuckerkonsums und der Einführung einer Steuer auf Saccharose-haltige Produkte durchaus jenseits der Reduktion der Kalorienaufnahme sinnvoll.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Bildunterschrift: Professor Dr. med. Andreas Pfeiffer
Bildquelle: Diabetes-Portal DiabSite

zuletzt bearbeitet: 09.05.2018 nach oben

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