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Die Versorgung Diabetespatienten in Pandemiezeiten

Expertenstatement von Professor Dr. med. Andreas Neu, Vizepräsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Komm. Ärztlicher Direktor an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen im Rahmen der gemeinsamen Online-Pressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), am 30. Juni 2020 in Berlin.

Expertenstatement zur aktuellen Lage in Praxis und Klinik

Professor Dr. med. Andreas Neu, Vizepräsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter. Eines von 500 Kindern ist erkrankt, insgesamt leben in Deutschland etwa 32.500 Betroffene in der Altersgruppe von null bis 19 Jahren [Danne T]. Die Neuerkrankungsrate (Inzidenz) des Typ-1-Diabetes steigt kontinuierlich an, immer mehr junge Kinder erkranken: In den letzten 25 Jahren hat sich die Neuerkrankungsrate mehr als verdoppelt. Es gibt keine andere chronische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter, die mit dieser Dynamik voranschreitet.

Gemessen an der Stoffwechsellage und Häufigkeit von Akut-Komplikationen kann man die Versorgungslage in Deutschland als gut bezeichnen. Es gibt jedoch deutliche regionale Unterschiede: Der mittlere HbA1c-Wert unter den 16 Bundesländern schwankt von 7,5 bis 8,4 Prozent [Holl RW].

Die medizinische Versorgung dieser Patienten hat sich in den letzten 20 Jahren deutlich verändert: Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die heute mit einer Insulinpumpe behandelt werden, liegt über 50 Prozent, in der Altersgruppe unter fünf Jahren sind es mehr als 90 Prozent. Die Zahl der Heranwachsenden, die mit einer kontinuierlichen Glukose-Messung versorgt sind, ist in den letzten fünf Jahren erheblich angestiegen, heute nutzt mehr als die Hälfte dieser Patientengruppe eine solche Technologie.

Mit den verbesserten Behandlungsmöglichkeiten haben sich auch die Stoffwechselergebnisse in den letzten 20 Jahren kontinuierlich verbessert: Die Zahl der "schlecht eingestellten" Patienten mit einem HbA1c-Wert über neun Prozent ist deutlich zurückgegangen, schwere Stoffwechselentgleisungen durch Hypoglykämien sind ebenfalls rückläufig. Unter den Insulinpumpen-Trägern ist die Zahl schwerer Stoffwechselentgleisungen mit diabetischer Ketoazidose geringer als unter der klassischen Injektionstherapie [Karges B].

Die Mehrzahl von Kindern und Jugendlichen wird sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich an Kinderkliniken versorgt. Häufig sind die pädiatrisch-diabetologischen Ambulanzen einer solchen Kinderklinik angegliedert.

Diabetologische Schwerpunktpraxen für Kinder und Jugendliche gibt es wenige. Um eine flächendeckende Versorgung zu sichern, ist es deshalb wichtig, die Kinderkliniken bei dieser Aufgabe zu unterstützen und für eine ausreichende Finanzierung zu sorgen. Nur eine qualitativ hochwertige Versorgung und umfangreiche Schulung bei Manifestation – also Erkrankungsbeginn - sichern ein weitgehend normales Aufwachsen dieser Kinder, denen wir einen Alltag ermöglichen möchten, der dem gesunder Gleichaltriger entspricht.

Neben der Vermeidung akuter Komplikationen und der Vermeidung von Folgeerkrankungen zählen die normale somatische Entwicklung sowie eine normale psychosoziale Versorgung zu den Zielen einer pädiatrisch-diabetologischen Betreuung. Gerade in diesem Bereich gibt es erhebliche Defizite.

Bei Weitem nicht alle Kliniken sind im Diabetesbereich mit einem Psychologen ausgestattet, die Zahl niedergelassener Psychotherapeuten ist nicht ausreichend, und nur wenige Therapeuten haben spezielle Kenntnisse in diesem Bereich.

Insgesamt unterscheidet sich die diabetologische Betreuung von Kindern und Jugendlichen deutlich von der Erwachsener mit Diabetes. Heranwachsende kann man ganzheitlich nur dann betreuen, wenn man Erzieher/-innen, Lehrer/-innen und das gesamte Umfeld eines Kindes im Blick hat. Deshalb ist die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes eine multiprofessionelle Herausforderung und Aufgabe für ein Diabetes-Team.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Literatur

Danne T, Kapellen T. Diabetes bei Kindern und Jugendlichen. In "Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2020".

Holl RW, Prinz N. Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes - aktuelle Situation und Veränderungen der letzten 24 Jahre. In "Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2020".

Karges B et al. Association of Insulin Pump Therapy vs Insulin Injection Therapy With Severe Hypoglycemia, Ketoacidosis, and Glycemic Control Among Children, Adolescents, and Young Adults with Type 1 Diabetes. JAMA 2017; 318(14).

Bildunterschrift: Professor Dr. med. Andreas Neu
Bildquelle: www.DiabSite.de

zuletzt bearbeitet: 30.07.2020 nach oben

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