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Diabetes und Adipositas bei Migranten
Expertenstatement zum Vortrag von Professor Dr. med. Werner Kern, Tagungspräsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Ärztlicher Leiter des endokrinologikum Ulm, im Rahmen der Vorab-Pressekonferenz zur 15. Diabetes Herbsttagung am 27. Oktober 2021 in Berlin.Ein oft unterschätztes Problem
Jeder vierte in Deutschland lebende Mensch hat einen Migrationshintergrund. Den größten Anteil haben Menschen mit türkischen Wurzeln, gefolgt von polnisch- und russischstämmigen Menschen. In den letzten Jahren kamen eine Reihe von Menschen aus Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten dazu. Dies sind Regionen, in denen in den nächsten Jahren mit einer besonders hohen Zunahme der Inzidenz an Diabetes gerechnet wird. In manchen Ethnien, wie zum Beispiel der in Deutschland lebenden türkischstämmigen Bevölkerung, ist das Diabetesrisiko höher als bei deutschstämmigen Menschen. Da die kulturelle Vielfalt auch in den meisten Fällen eine Herausforderung bei der medizinischen Versorgung mit sich bringt, ist es umso wichtiger, sich mit den Besonderheiten bei der Diabetes- und Adipositasbehandlung von Migranten hinreichend auszukennen.
Menschen mit Diabetes und Migrationshintergrund sind aus vielerlei Gründen häufig unzureichend versorgt. Oft werden Arztbesuche und Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrgenommen, aus Angst, durch Krankschreibung oder andere medizinische Maßnahmen den Arbeitsplatz zu verlieren. So ist der Krankenstand bei den unter 65-jährigen Menschen mit Migrationshintergrund niedriger als bei deutschstämmigen Menschen, bei den über 65-Jährigen kehrt sich dies um. So bleibt der Diabetes lange Zeit unentdeckt und unbehandelt. Das betrifft auch besonders die Adipositas mit den damit verbundenen Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen.
In bestimmten Kulturen haben das gemeinsame Essen und Trinken eine große soziale und emotionale Bedeutung, dagegen ist die eigene sportliche Aktivität oft weniger kulturell verhaftet. Die Ernährungsgewohnheiten und Speisen unterscheiden sich oft deutlich von der einheimischen Küche. Sie sind oft kohlenhydratlastig, aber selten ausreichend bekannt, um adäquat beraten zu können.
Auch spielt das Krankheitsverständnis eine wichtige Rolle. So wird oft eine Krankheit als Schicksal, als Sühne oder Prüfung Gottes gesehen, die geduldig ertragen werden muss. Durch Sprachbarrieren werden Probleme aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nicht angesprochen oder komplexe medizinische Zusammenhänge werden vom Dolmetscher nicht richtig übersetzt oder gehen verloren. Nicht selten spielt auch die Religion eine wichtige Rolle. So kann zum Beispiel die Zeit des Ramadans für das Diabetes-Team und den Patienten eine echte Herausforderung darstellen, vor allem wenn eine Therapie mit Hypoglykämie-Risiko durchgeführt wird.
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