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Das diabetische Fußsyndrom (DFS)

Abstract zum Vortrag von Prof. Dr. med. Ralf Lobmann, ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik 3 - Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie, Klinikum Stuttgart - Bürgerhospital und Sprecher der AG FUSS der DDG, im Rahmen der Pressekonferenz von Wörwag Pharma am 08. Mai 2013 anlässlich des Diabetes Kongresses 2013 in Leipzig.

Die Hälfte der Patienten muss mit Amputationen rechnen

Prof. Dr. med. Ralf Lobmann Das Diabetische Fußsyndrom (DFS) ist weltweit eine der bedeutendsten Komplikationen und häufigste Ursache für die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung bei Patienten mit einem Diabetes mellitus. Das diabetische Fußsyndrom ist eine klassische interdisziplinäre Erkrankung. Die Prävalenz des DFS schwankt zwischen 4 und 15 % und es ist die führende Komplikation des Diabetes mellitus, die zu einer Krankenhauseinweisung führt.

Bis zu 25 % aller Diabetiker erleiden während ihres Lebens an einem diabetischen Fußulkus und mehr als 50 % der 300.000 Patienten die in Deutschland an einem diabetischen Fußsyndrom erkranken, müssen mit einer Amputation innerhalb von 4 Jahren nach Diagnosestellung rechnen. Derzeit müssen wir in Deutschland von jährlich mehr 50.000 nicht traumatisch bedingten Amputationen bei Patienten mit Diabetes mellitus ausgehen - dies entspricht der Dimension einer größeren Kreisstadt.

Die Ätiologie des diabetischen Fußsyndroms ist multifaktoriell und durchaus komplex.

Das Vorliegen einer diabetischen sensomotorischen und autonomen Neuropathie, das Patientenalter und ein bereits vorausgegangenes Ulkus sind Hauptrisikofaktoren des DFS. Weitere Hauptfaktoren sind eine gleichzeitig vorliegende periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) und Strukturdeformitäten (z. B. Hallux valgus, Krallen-/Hammerzehen oder Hyperkeratosen) des Fußskelettes.

Die diabetische Neuropathie in Kombination mit erhöhten plantaren Fußdrücken ist dabei die Hauptursache bei der Entwicklung des diabetischen Fußes. Epidemiologische Daten zeigen, dass eine Neuropathie in gut 50 % der Fälle allein für ein diabetisches Fußsyndrom verantwortlich ist. Nur in bis zu 15 % ist ausschließlich eine pAVK vorliegend, in 35 % ist eine Kombination von Neuro- und Angiopathie als auslösendes Moment der diabetischen Plantarulzeration nachweisbar.

Zeichen einer sensorischen Neuropathie sind eine Reduktion oder Verlust des Vibrationsempfindens (Pallhypästhesie) sowie der taktilen Oberflächensensibilität (Druck, Berührung) und subjektiv Parästhesien. Fast regelhaft ist bei der sensorischen Neuropathie auch das Temperaturempfinden herabgesetzt.

Infolge der fehlenden Schmerzsymptomatik nehmen betroffene Patienten Verletzungen oft tage- oder gar wochenlang nicht wahr.

Der unsensible Fuß ist in dreierlei Weise durch auf ihn einwirkende Kräfte verletzbar:

  1. konstanter Druck über mehrere Stunden verursacht eine lokal-ischämische Nekrose (z. B. neue drückende Schuhe werden nicht gewechselt, weil der Druckschmerz fehlt).
  2. hoher Druck über kürzere Zeit schädigt den Fuß direkt. Gegenstände mit kleiner Oberfläche (Nagel, Nadel, spitzer Stein, etc.) rufen dabei einen sofortigen mechanischen Schaden hervor.
  3. wiederholter mäßiger Druck und die dadurch ausgelöste Entzündungsreaktion begünstigt die Ulzeration.

Nicht selten beginnt eine Gangrän auch mit Verbrennungen durch heiße Wärmflaschen (oder Heizdecken), übermäßige Sonnenbestrahlung oder eben Traumata, die infolge der Neuropathie nicht rechtzeitig wahrgenommen werden.

Die motorische Neuropathie äußert sich in einer Atrophie der kleinen Fußmuskeln, was eine Fehlstellung der Zehen im Sinne der sog. Krallenzehen bewirkt.

Außerdem kommt es zu motorischen Paresen und einem Verlust der Muskeleigenreflexe, wobei der Ausfall des Achillessehnenreflexes eines der Frühsymptome einer motorischen Neuropathie ist.

In der Kombination der sensorischen und motorischen Komponente der peripheren Neuropathie resultiert eine Fußfehlbelastung und Gangunsicherheit für den betroffenen Diabetiker. Klassischerweise bilden sich in der Folge von Neuropathie und erhöhter plantarer Druckbelastung Hyperkeratosen aus; durch subepidermale Hämatombildung kommt es an typischen Prädilektionsstellen (insbesondere Metatarsale I und Fersenbereich) zum Malum perforans.

Durch eine periphere autonome Neuropathie kommt es zu einer Vasomotorenlähmung mit Eröffnung von arterio-venösen Shunts im Bereich des subkutanen Gefäßplexus. Ein weiteres Zeichen ist eine Störung bzw. ein Verlust der Schweißsekretion (Sudomotorenparese). Überwärmung der Haut durch Hyperperfusion in tiefen Hautschichten sowie die fehlende Befeuchtung und Verdunstungskälte durch die Störung der Schweißsekretion führen zu einer auffälligen Hautrockenheit der Füße mit Abschwächung der Schutzfunktion der Haut und damit erhöhtem Verletzungsrisiko. Auch die Entstehung einer Mediasklerose (verbunden mit 2fach höheren Ulkusrisiko und 3fach erhöhtem Amputationsrisiko) und der diabetischen Osteoarthropathie (Charcot-Fuß), gehen auf das Vorliegen einer autonomen Neuropathie bei Diabetes mellitus zurück.

Durch geeignete Behandlungsstrategien sowie interdisziplinäre und Sektoren übergreifende Strukturen, sowie die Integration der nicht-ärztlichen Assistenzberufe (Diabetesberater/innen, Podologen/innen und orthopädische Schuhmachermeister/innen), ist es möglich die vergleichsweise hohen Amputationsraten zu senken.

Entscheidend für den Erfolg eines Systems der geteilten Versorgung und Verantwortung (shared Care) sind eine erfolgreiche Kommunikation und eine konsequente Umsetzung von Prozessplänen. Dabei ist eine adäquate Versorgung eines Patienten nur bei Überschreiten von Schnittstellen (und klaren Definitionen dieser Schnittstellen) möglich.

Entsprechende Einrichtungen, wie die von der Arbeitsgemeinschaft "Diabetischer Fuß" der Deutschen Diabetesgesellschaf (DDG) zertifizierten Kliniken, Praxen und Ambulanzen zur ambulanten oder/und stationären Versorgung von Patienten mit diabetischem Fußsyndrom praktizieren bereits erfolgreich diesen multiprofessionellen Betreuungsansatz (www.ag-fuss-ddg.de).

Daten von mehr als 14.000 in diesen Zentren dokumentierten und evaluierten Fußulzerationen zeigen, dass mit den von der DDG vorgegebenen Strukturen gute Heilungsraten (<53 % innerhalb von 6 Monaten) und niedrige (Major-)Amputationsraten <4 % erzielt werden können. Gerade die Lebensqualität und auch Mortalität bestimmende Major-Amputationsrate ist dabei deutlich niedriger als der bundesdeutsche Durchschnitt von 10-15 %. Dabei fand sich ein klarer Zusammenhang zwischen dem Amputationsrisiko und der Wagner-Armstrong Klassifikation. Die von der AG Fuß/DDG vorgegebenen und zertifizierten Strukturen sind geeignet über einen längeren Zeitraum (10 Jahre) konsistent niedrige Amputationszahlen zu generieren.

Gemeinsames Ziel aller Beteiligten muss, bei optimaler Koordination der zur Verfügung stehende Ressourcen, eine hohe Abheilungsrate sein, wobei dabei nicht die unkritische primäre Amputation gemeint sein darf. Weiterhin ist auf einen ausreichend funktionalen (Rest-) Fuß und eine geringe Rezidivrate (Sekundärprävention; Einlagen- und Schuhversorgung) zu achten.

Weiterführende Literatur

  • Urbancic-Rovan V. Causes of diabetic foot lesions. Lancet 2005 12;366:1675-6.
  • Boulton AJ. The diabetic foot: grand overview, epidemiology and pathogenesis. Diabetes Metab Res Rev 2008 24 Suppl 1:S3-S6
  • Molines L, Darmon P, Raccah D. Charcot's foot: newest findings on its pathophysiology, diagnosis and treatment. Diabetes Metab 2010;36(4):251-5
  • Lobmann R, Müller E, Bergmann K, Kersken J, Brunk-Loch S, Groene C, Lindloh C, Mertes B, Spraul M. The diabetic foot in Germany: Analysis of quality in specialised diabetic wound care centers. The Diabetic Foot Journal 2007;10:68-72
  • Hochlenert D, Engels G. [Integrated management in patients with diabetic foot syndrome]. MMW Fortschr Med 2007 26;149(17):41-3.
  • Lobmann R. Das Diabetische Fußsyndrom, Der Internist 52: 539-548, 2011
  • Lobmann R., Balletshofer B. Das diabetische Fußsyndrom, In: Häring, Gallwitz, Müller-Wieland, Usadel, Mehnert Diabetologie in Klinik und Praxis, 6. Auflage, 495-523, 2010

Bildunterschrift: Professor Ralf Lobmann
Bildquelle: Wörwag Pharma GmbH & Co.KG

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zuletzt bearbeitet: 26.05.2013 nach oben

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